Ergebnisse der EMA-DEM Studie vorgestellt

Dem Stress von pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz im Alltag auf der Spur.

Stress im Alltag stellt eine Gefahr für die Gesundheit dar. Besonders gefährdet sind pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz. Im Rahmen der EMA-DEM Studie wurde untersucht, wie sich Stress im Alltag von diesen pflegenden Angehörigen zeigt und wie besonders vulnerable Angehörige frühzeitig identifiziert werden können.

Stress im Alltag kann schwerwiegende Konsequenzen für die Gesundheit haben, vor allem wenn er chronisch ist und wenig Ressourcen zur Verfügung stehen, um dem Stress erfolgreich zu begegnen. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, denen ein guter Umgang mit Stress gelingt. Individuelle Unterschiede in der Resilienz – der psychischen Widerstandskraft – scheinen hier verantwortlich zu sein. Obwohl der Zusammenhang zwischen Stress im Alltag und der eigenen körperlichen und psychischen Gesundheit bekannt ist, wird Stress häufig im Labor oder anhand rückblickender Fragebögen erhoben. Was sagt das aber über das momentane Stresserleben im Alltag aus? Und welche Rolle spielt die Resilienz im täglichen Umgang mit Stress?

Um diese Forschungslücke zu adressieren, haben sich sogenannte ambulante Assessmentstudien nach und nach etabliert. Ziel ist es, direkt im Alltag die interessierenden Fragen zu stellen. Statt einmalig zu fragen ‚Wie gestresst waren Sie in den letzten 4 Wochen‘, wird wiederholt im Alltag gefragt ‚Wie gestresst fühlen Sie sich gerade‘. Dadurch minimiert Wahrnehmungsverzerrungen und kommt dem Stress viel näher auf die Schliche.

Daher wurden in der EMA-DEM Studie pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz oder mild cognitive impairment (MCI) für 14 Tage mit einem Smartphone ausgestattet, das sechs Mal täglich Angaben zu den pflegenden Angehörigen selbst (z.B. bezüglich Stress, Resilienz), dem Menschen mit Demenz bzw. MCI (z.B. aktuelle Einschränkungen) sowie zu interpersonellen Aspekten der Dyade (z.B. Kontaktqualität zwischen pflegenden Angehörigen und Menschen mit Demenz bzw. MCI) verlangte. Zusätzlich gaben die pflegenden Angehörigen eine Speichelprobe zur späteren Analyse von physiologischen Stressmarkern (Cortisol und Alpha-Amylase) ab und trugen über 14 Tage einen Brustgurt, der kontinuierlich das Herzsignal maß. Somit war es möglich, die subjektiven Angaben zum Stresserleben direkt mit physiologischen Stressmarkern in Verbindung zu setzen. Um darüber hinaus eine Aussage über das chronische Stresserleben der vergangenen Wochen zu tätigen, wurde zusätzlich am Ende der 14 Tage eine Haarprobe bei den pflegenden Angehörigen entnommen, denn in einem cm Haar lagert sich die chronische Stressbelastung der letzten vier Wochen ab. Begleitend dazu füllten die pflegenden Angehörigen Fragebögen aus, um einen Abgleich zwischen Alltagsdaten und rückblickenden Daten zu ermöglichen.

Hauptziele der Studie war es a) mögliche Unterschiede zwischen subjektiv momentan berichteten und retrospektiv, also zurückblickenden, Angaben aufzudecken und b) basierend auf den Alltagsdaten Prädiktoren für eine höhere Stressbelastung und niedrigere Resilienz zu identifizieren. Im Zeitraum von Oktober 2020 bis Juni 2023 konnten insgesamt 20 pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz so untersucht werden.

Ergebnis 1 – Im Alltag erhobene Daten zeigen keine Deckungsgleichheit mit rückblickenden Angaben

Die Angaben von pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz bzw. MCI unterscheiden sich bereichsspezifisch basierend darauf, ob sie rückblickend anhand von Fragebögen oder momentan und direkt im Alltag erhoben wurden. Daher stellt das ambulante Assessment eine wichtige Ergänzung zu rückblickenden Fragebogendaten dar.

Ergebnis 2 – Erst chronisch gestresste pflegende Angehörige geben ihr Stresserleben in Übereinstimmung zu den physiologischen Stressmarkern an

Es zeigten sich keine Zusammenhänge zwischen momentanen subjektiven und physiologischen Stressmarkern. Erst im Bereich des chronischen Stresserlebens stimmten subjektive und physiologische Stressmarker überein. Zur Gesundheitsförderung pflegender Angehöriger sollten diese präventiv für das Erkennen von (physiologischen) Stress sensibilisiert werden, um frühzeitig die Auswirkungen von chronischem Stress im subjektiven Stresserleben wahrnehmen und angeben zu können. 

Ergebnis 3 – Screeningfragen für pflegende Angehörige

Zur Identifikation von besonders vulnerablen pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz bzw. MCI sollten die pflegenden Angehörigen vor allem nach ihrer Stimmung im Alltag, nach der Belastung durch kognitive Symptome (im Gegensatz zu dem Ausmaß der kognitiven Symptome), nach der eigenen Selbstfürsorge und Akzeptanz sowie nach der Qualität der Interaktionen mit dem Menschen mit Demenz bzw. MCI gefragt werden.

Fazit für die Praxis

Die Datenerhebung im direkten Alltag der pflegenden Angehörigen hat einen Mehrwert gegenüber einer einmaligen zurückblickenden Befragung. Für die Beratungspraxis könnte es daher wertvoll sein, die in der Beratungssituation erhobenen Daten durch ein gezieltes ambulantes Assessment im Alltag zu ergänzen. So können Wahrnehmungsverzerrungen aufgedeckt und minimiert werden, so dass pflegende Angehörige ganzheitlich in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Erleben betrachtet werden können.

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