Kinderstation seit 20 Jahren wichtige Anlaufstelle

Neurologische Behandlung an der Rheinhessen-Fachklinik Alzey vom Babyalter bis zur Volljährigkeit – Oberarzt Dr. Macke: „Kindliche Aggressivität ist ein Schrei nach Hilfe“

Chefarzt Dr. Frank Kowalzik (links) und Oberarzt Dr. Klaus Macke (rechts) am Empfangsbereich der neurologischen Kinderstation G6. Foto: Landeskrankenhaus / Pape

Alzey. 20 Jahre ist es her, dass im Griesinger-Haus der Rheinhessen-Fachklinik Alzey (RFK) Kinder einzogen: Die neurologische Kinderstation G6 wurde von Mainz dorthin verlegt und nahm ihre Arbeit auf. Seither behandelt und betreut die Kinderneurologie am Standort Alzey Kinder und Jugendliche mit neurologischen und sozialpädiatrischen Krankheitsbildern.

Anfangs bestanden auch Vorbehalte und Unsicherheit. In einem alten Zeitungsartikel nimmt selbst die damalige Gesundheitsministerin Malu Dreyer das Thema auf. Kritische Stimmen monierten, dass psychisch kranke Erwachsene auf dem gleichen Klinikgelände untergebracht seien wie Kinder. Diese Sorge hat sich rückblickend als unbegründet erwiesen und bis heute gab es keinen einzigen Zwischenfall. Für den Umzug nach Alzey sprach damals unter anderem, dass bereits viele moderne Diagnoseverfahren wie zum Beispiel ein MRT vor Ort zur Verfügung standen, zusätzlich eine eigene Apotheke und ein Labor. Der weitläufige Park mit sportlichen Möglichkeiten wie einem Schwimmbad und dem Therapiehof mit vielen Tieren kann für den Genesungsprozess kranker Kinder nur gut sein.

Chefarzt Dr. Frank Kowalzik zeigt sich „begeistert, wie die Station läuft“. Er hebt die Besonderheit, die „intensive multiprofessionelle Teamarbeit“ hervor. Als er vor gut einem Jahr in der RFK seine Arbeit aufnahm, sei ihm noch nicht bewusst gewesen, wie wichtig die Station ist, die Zuweisungen erhält, die weit über die Region hinausgehen. Erkrankte Kinder seien im ambulanten Setting nicht so zu erleben wie auf Station, erklärt er.

Auch ohne Sprache Zugang zu Kindern finden

Oberarzt Dr. Klaus Macke startete vor 20 Jahren als Stationsarzt auf der G6. Die Erkrankungen der etwa 400 jungen Patient:innen, die pro Jahr behandelt werden, teilt er in drei Hauptkategorien ein: Epilepsie, Lähmungen beziehungsweise Muskelerkrankungen wie Spastik oder bettlägerige Patient:innen und Verhaltensstörungen, zum Beispiel High-Need-Babys, Fütterprobleme oder Autoaggression bei geistigen Behinderungen.

Der Altersmix der Patient:innen erstreckt sich vom Babyalter bis zur Volljährigkeit (in Ausnahmefällen auch schon einmal höher). Die Krankheitsbilder sind „sehr verschieden“, so der Oberarzt, ebenso die Art der Fälle. Neun Monate alte Babys mit schwerer Epilepsie, Kinder, die keine Teilhabe am sozialen Miteinander zeigen und der Verdacht auf das Asperger-Syndrom besteht oder kleine Patienten mit psychisch kranken Eltern.

Dr. Kowalzik wird deutlich: „Oft sind Kinder Leidtragende, sie sind oft nur die Symptomspitze einer katastrophalen Situation des Umfeldes.“ Immerhin: Ganz häufig kann diesen geholfen werden und natürlich müssen die Eltern auch in die Behandlung ihrer Kinder einbezogen werden. Das Problem mit Familien als Auslöser von Erkrankungen bei Kindern zieht sich übrigens durch alle sozialen Schichten.

Eines stellt Oberarzt Klaus Macke heraus: „Es gibt keine aggressiven Kinder. Das augenscheinlich aggressive Handeln ist der kindliche Schrei nach Hilfe, Hilfe, Hilfe, ähnlich wie sozialer Rückzug, Einnässen, Schlafstörungen.“ Den Patient:innen würde oft keine sprachliche oder soziale Kompetenz vermittelt. Und vielen fehlen Vorbilder. Macke: „Die Kolleginnen und Kollegen der G6 wollen und können solchen Kindern helfen. Die Pädiatrie ist eine dankbare Medizin.“

Die Station verfügt über 20 Betten, von denen die meisten kontinuierlich belegt sind. Die durchschnittliche Verweildauer der Patient:innen liegt bei gut zwei Wochen. Für die jungen Menschen setzen sich Ärzte und Pflegekräfte ein sowie Fachkräfte aus den Bereichen Erziehung, Sonderpädagogik, Psychologie, Sozialpädagogik, Ergo-, Logo- und Physiotherapie und den Funktionsdiagnostiken - ein wahrlich multiprofessionelles Team.

Stark eingeschränkte Mediennutzung Teil des Konzeptes und der Therapie

Eine der Besonderheiten der G6 in Alzey ist, dass zumindest zur Freizeitgestaltung, nur stark eingeschränkt Medien genutzt werden. Das führte zu viel Kritik, insbesondere mit aufgenommener Eltern. Es gab sogar bereits Behandlungsabbrüche, weil Mütter oder Väter während der Behandlung ihrer kranken Kinder nicht auf ihre Serien im Fernsehen oder auf ausdauerndes Surfen im Internet verzichten wollten.

Der Aufnahmeprozess verläuft multiprofessionell. Es zeigt sich nicht selten, dass Eltern die Symptome der erkrankten Kinder anders wahrnehmen und schildern und diese nicht dem Eindruck des Erstaufnahmeteams entsprechen. Die beiden Seiten müssen dann im Verlauf zusammengeführt werden, um dem Kind zu helfen. Daher gilt es, während der Behandlung ein gemeinsames Ziel zu finden.

Eigenes Programm für junge Schmerzpatient:innen

Für Schmerzpatient:innen hat die Abteilung gemeinsam mit Kollegeninnen und Kollegen des Kinderneurologischen Zentrums Mainz (KiNZ) das Programm „Pusteblume“ ins Leben gerufen: Dabei wird Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen geholfen, mit den Schmerzen umzugehen, Strategien zu entwickeln, den Alltag besser zu bestehen - dem Schmerz also mit der eigenen Kraft zu begegnen. Der Erfolg bestätigt die Fachleute. Dr. Macke sagt: „90 Prozent der in der ,Pusteblume’ behandelten Kinder sind schnell und nachhaltig behandelbar.“

Es scheint allerdings, dass das Kindeswohl limitiert wird durch die Verfügbarkeit der Medizin und sozialer Unterstützung – nicht ohne Grund erhält die Station Zuweisungen von weit außerhalb des Versorgungsgebiets der Klinik, Hilfeersuche der (heute oftmals überlasteten) Jugendämter und vieler weiterer. Ein wichtiger Bestandteil der kinderneurologischen und sozialpädiatrischen Arbeit ist deshalb eine erfolgreiche Rückübertragung an die Eltern und, wenn gewünscht und notwendig, an beteiligte Institutionen, damit Krankheitsverarbeitung möglich und eine erfolgreiche Teilhabe in Kindergarten, Schule und am sozialen Umfeld wieder möglich wird. Wolfgang Pape

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