Resilienz in der Pflege – Podiumsdiskussion Dienstag, 23. Februar 2021, Vorbericht

Ein Bisschen ist der Begriff der „Resilienz“ zu einem Modewort geworden. Daran ist auch Corona schuld. Seit darüber diskutiert wird, was die Viruspandemie den Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen seelisch und gesundheitlich abverlangt, spricht die große Politik gerne von Resilienz und meint damit vor allem eines: Widerstandsfähigkeit.

„Der Begriff ist tatsächlich erst in den letzten 20 Jahren verstärkt in wissenschaftlichen Arbeiten anzutreffen“, sagt Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann. Vorher habe man immer verstärkt den Blick darauf gerichtet, was passiert, wenn Menschen gestresst sind oder Schlimmes erleben, etwa depressiv werden. Inzwischen stelle man aber vermehrt fest: Das ist nicht bei allen so. Viele bleiben gesund, werden vielleicht sogar noch gestärkt. Doch was sind die Gründe?

Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann kennt den Begriff schon länger. Die 32-jährige leitet zusammen mit Prof. Dr. Andreas Fellgiebel das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA), einer Forschungseinrichtung am Landeskrankenhaus, die sich schwerpunktmäßig mit präventiven Maßnahmen bei pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz beschäftigt. Außerdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsmedizin Mainz und hatte zuvor als Psychotherapeutin in der Abteilung für Gerontopsychiatrie der Rheinhessen-Fachklinik Alzey in der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit beginnender Demenz und deren pflegenden Angehörigen gearbeitet. Zugleich gehört sie zu den Organisatoren der Online-Fachveranstaltung „Resilienz in der Pflege“, die am Dienstag, 23. Februar, 14 Uhr stattfindet.

„In ihrer Widerstandsfähigkeit unterscheiden sich Menschen“, sagt die Psychologin. „Einige schaffen es, gesund zu bleiben, obwohl alle Zeichen in ihrer Umwelt gerade auf Stress und Gefahr stehen.“ Im Englischen gibt es dafür den Begriff  „to bounce back“ – ein Effekt, ähnlich wie bei einem Stehauf-Männchen, dass sich immer wieder aufrichtet.

Ein Grund liegt sicher in der Persönlichkeit begründet. Aber die Widerstandsfähigkeit lässt sich auch erlernen, trainieren oder verbessern. Und genau an diesem Punkt setzt die Arbeit im Zentrum für psychische Gesundheit im Alter an. Resilienz im Alter lässt sich auch so beschreiben: Was sind die Bedingungen, damit Menschen im Alter möglichst lange gesund bleiben? Besonders im Umgang mit der Krankheit Demenz ist dieser Ansatz interessant – wie lautet der Schlüssel zur Resilienz, damit Menschen nicht dement werden?

Natürlich richtet sich auch der Blick auf die pflegenden Angehörigen, für die die Pflege körperlich aber auch seelisch ein emotionaler Dauerstresszustand sein kann, oder auf das Pflegepersonal. Seit Corona sind letztere verstärkt in den Blickpunkt gerückt, auch wenn deren Arbeitsbedingungen auch schon vor der Pandemie prekär waren. „Die Arbeitsbedingungen haben sich durch Corona sicher noch verschärft“, sagt Wuttke Linnemann. „Aber auch so sind Pflegende chronischem Stress ausgesetzt.“

Dem lässt sich entgegenwirken – etwa durch spezielle Interventionen, um besser mit dem Stress umgehen zu lernen. „Es ist wichtig, die individuelle Resilienz zu fördern“, sagt sie und fügt hinzu: „Aber auch das Umfeld muss zulassen, Resilienz zu entfalten.“ Oder anders: Das beste Training nützt nicht viel, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. In diesem Spannungsfeld – Interventionen und Trainings für den Einzelnen einerseits, Verbesserung der Rahmenbedingungen andererseits – bewegt sich die aktuelle Forschung auf dem Gebiet. „Ich glaube, die Wahrheit liegt da, wie so oft, irgendwo in der Mitte“, sagt die Fachfrau.

Die Corona-Pandemie habe in Sachen Resilienz ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet, nämlich den Blick darauf, was das Virus mit den Menschen macht. Auffällig dabei: Bislang stehen überwiegend die negativen Folgen im Fokus. „Bisher wird kaum geschaut wer geht besser mit der Belastung um und warum?“, hat Wuttke-Linnemann beobachtet. Positive Folgen seien aber durchaus auch denkbar. Etwa, wenn plötzlich mehr Zeit zur Verfügung steht. Ist man in der Lage, diese sinnbringend auszufüllen, können Personen durchaus gestärkt aus der Krise gehen. „Aber der Blick auf das Positive hängt hinterher“, sagt Wuttke-Linnemann.

Auch das kennt die Psychologin aus zahlreichenden Studien aus den 1980er-Jahren, die sich mit pflegenden Angehörigen auseinandersetzten. Erst allmählich weite sich der Blick der Forschung auf positive Aspekte. Denn auch pflegende Angehörige brauchen Auszeiten von ihrer aufopferungsvollen Tätigkeit. Oft ist denen das gar nicht bewusst, hat Wuttke-Linnemann beobachtet, oder man meint, sich keine Pausen zugestehen zu dürfen. Doch genau das ist ein großer Irrtum, sagt die Psychologin.

Die bemüht dabei immer das Beispiel aus dem Flugzeug, wenn die Flugbegleiter die Sicherheitseinweisungen machen. „Wem soll man zunächst die Sauerstoffmaske aufsetzen, wenn diese beim Druckabfall von der Kabinendecke fällt?“, fragt sie immer wieder. „Erst anderen Personen helfen und Kindern, dann sich selbst“, bekommt sie oft als Antwort. Doch in Wahrheit ist es umgekehrt: Erst die eigene Maske aufsetzen und befestigen, dann erst anderen helfen. Dieses Beispiel führt bei pflegenden Angehörigen oft zu einem regelrechten Aha-Effekt. Sie erkennen: „Man kann nur dann gut und effektiv helfen, wenn man selbst gesichert und gefestigt ist.“

„Die Zielgruppe für die Onlineveranstaltung sind alle - Betroffene, Interessierte, Experten“, sagt Wuttke-Linnemann. Also pflegende Angehörige genauso, wie Menschen, die professionell im Beruf täglich mit dem Thema Pflege zu tun haben. Für die rund zweistündige Veranstaltung konnte sie ein kompetentes Teilnehmerfeld gewinnen. Nach einer kurzen Einführung durch Wuttke-Linnemann wird zunächst Prof. Dr. Weidner, von der Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar eine kurze Einführung geben.

Für die Diskussion konnte Wuttke-Linnemann die rheinland-pfälzische Ministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler gewinnen, ebenso wie Dr. Gerald Gaß, Geschäftsführer Landeskrankenhaus und designierter Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Prof. Dr. Frank Weidner, Prof. Dr. Brigitte Anderl-Doliwa, Landespflegekammer Rheinland-Pfalz und Sabine Jansen, von der Deutsche Alzheimer Gesellschaft gewinnen. Die Diskutanten bringen ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Thema mit. Nämlich die der Arbeitgeber im Pflegesektor, die der Politik, die der professionell Pflegenden oder die der medizinischen Forschung. Moderator ist Prof. Dr. Andreas Fellgiebel, der zusammen mit Wuttke-Linnemann das ZpGA leitet und zudem Chefarzt der psychiatrischen Klinik am AGAPLESION Elisabethenstift Darmstadt ist.

Die Anmeldung zur kostenfreien Veranstaltung Resilienz in der Pflege ist möglich über die Rhein-Mosel-Akademie.

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