Autorin spricht Betroffenen aus der Seele
Aktionsmonat der Rhein-Mosel-Fachklinik: Eva Jahnsen las aus ihrem Buch "Die Gedanken sind Blei"
Menschen, die an einer Depression erkranken, fühlen sich alleine, sind es aber nicht: Jeder fünfte Mensch erkrankt an einer Depression im Laufe seines Lebens – und die Zahlen steigen, so Dr. Barbara Deimling, Leiterin der Sektion Depression und Traumata an der Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach, die im Rahmen des Aktionsmonats „Gemeinsam gegen die Depression“ mit der Stadtbücherei Andernach zur Lesung mit der Autorin Eva Jahnsen eingeladen hatte. Mit dem Aktionsmonat wolle die Klinik „den Klinikalltag durchbrechen“, über die eigene Arbeit aufklären und diese „Volkskrankheit“ in den Vordergrund rücken, sagte die Ärztin.
Die Autorin Eva Jahnsen ist 33 Jahre alt und lebt seit 20 Jahren mit einer Depression. „Das kommt immer in Wellen“, erzählte sie den mehr als 40 Zuhörerinnen und Zuhörern am Abend der Lesung. Dann durchlebt sie „schlimme Phasen“.
Ersten fachlichen Einblick in die Erkrankung erhielt sie in einer Psychoedukationsgruppe. Was sie dort über ihre Erkrankung und über sich erfuhr, setzte sie in Bildern um und schrieb kleinere Texte dazu. Bis heute teilt sie ihre Erfahrungen auf ihrem Instagram-Kanal @depridisco und auf einer eigenen Internetseite per Blog. Eines Tages wurde ein Verlag auf sie aufmerksam - das Buch entstand.
Es ist wichtig zu wissen, dass das Buch von einer Frau geschrieben wurde, die selbst betroffen ist, die weiß, worüber sie schreibt. Eva Jahnsen machte gegen Ende der Veranstaltung darauf aufmerksam, dass ihr Buch helfen kann, es aber natürlich nicht die alleinige Lösung bei einer Depression ist – dazu braucht es eine Psychotherapie, Medikamente und eine Psychoedukation, unterstrich sie.
Als perfektes Paket bewies sich die Lesung durch die Autorin selbst. Eine sympathische junge Frau mit lockigen Haaren, eine Frau, die nervös ist und es auch zugibt. Sie ist mit dem gesamten Publikum per Du. Und sie ist brutal ehrlich, wenn sie davon erzählt, wie es ihr manchmal geht, in welchen Situationen sie sich befindet, wenn sie den sozialen Rückzug wählt, für sich wählen muss. Sie erzählt von der Suche nach Erklärungen, wenn sie mal wieder einer Einladung zu einer Party nicht folgt. Dabei weiß sie doch, es ist „total doof“, sich zu schämen – „es ist eine Krankheit, für die muss man sich nicht schämen“. Eva Jahnsen kann das ausdrücken, was andere Betroffene fühlen, doch selbst nicht auszudrücken vermögen, liest man in Rezensionen von Leserinnen und Lesern.
Sie berichtet im Buch von schlechtem beziehungsweise komplett fehlendem Selbstbewusstsein, von Situationen, in denen sie auf Rat ihrer Psychotherapeutin keine weitreichenden Entscheidungen treffen sollte. „Mein schlimmstes Thema“ sind die Konzentrationsschwierigkeiten, die Probleme, sich zu fokussieren. „Die Gedanken sind Blei.“ Sie beschreibt es wie ein „Browsen mit schlechter Internetverbindung“ – die Seiten wollen sich einfach nicht aufbauen. „Das macht mich panisch.“ Es ist ein Symptom und klingt irgendwann wieder ab.
Und dann ist da die Traurigkeit. Sie ist auch traurig, weil sie durch die Depression schon so viel versäumte. Eva Jahnsen weiß, wie es ist, zu warten. Monatelang, auf Besserung, auf die ersehnte Therapie. „Alles fühlt sich unendlich an.“ Nein, es ist nicht alles toll im Gesundheitswesen, weiß sie aus eigener Erfahrung. Doch immerhin kennt sie Möglichkeiten, die Wartezeit zu überbrücken, etwa mit einer Selbsthilfegruppe oder einer Psychoedukation – genaue Kenntnis der Erkrankung hilft, besser damit umzugehen. Das ist auch für Angehörige wichtig, denn es ist „schwierig, Angehöriger zu sein“.
Doch ein an einer Depression erkrankter Mensch weiß auch zu schätzen, was ihm persönlich gut tut, zum Beispiel, dass jemand zuhört, „jemand ist für mich da“. Dadurch kann sie in sich hineinhören und klären, was sie gerade braucht. Sie nutzt „helle Phasen, um mit Familie und Freunden zu klären, was es braucht, wenn es wieder dunkel wird“.
Man ahnt, dass es Betroffene Überwindung kostet, offen über die Erkrankung zu sprechen. Andererseits: „Seit ich offen über meine Depression spreche, geht es mir besser.“ Das jedoch will sie nicht pauschal jedem und jeder empfehlen, da die Stigmatisierung in der Gesellschaft noch immer recht ausgeprägt ist.
Am Ende der Lesung gab Eva Jahnsen dem Auditorium Gelegenheit, Fragen zu stellen. Die Fragen alleine bewiesen, dass ein solches Buch von Betroffenen gebraucht wurde. Es ist im analogen und im digitalen Buchhandel erhältlich. Wolfgang Pape