Expertinnen informierten über Angststörungen
Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach wirkt durch Aktion "Angst weckt Mut" Stigmatisierung von psychischen Krankheiten entgegen
Im Rahmen der bundesweit stattfindenden „Woche der seelischen Gesundheit“ des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit lud die Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach (RMF) zu einem Vortrag über Entstehung und Bewältigung von Ängsten. Die Aktionswoche wurde von der Klinik genutzt, um über psychische Erkrankungen zu informieren, sich nach außen zu öffnen und sich für eine Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen zu positionieren.
Angst doppelt so häufig wie Depression
Dr. Barbara Deimling, Oberärztin und Sektionsleiterin Depression und Trauma an der RMF, und die Diplom-Psychologin Anne Leber, leitende Psychologin der Klinik, informierten eine erfreulich große Zuhörerschaft (es mussten viele Stühle zusätzlich herbeigeschafft werden) über eine Erkrankung, die oft etwas in den Hintergrund gerät, obwohl eine Angststörung die häufigste psychische Erkrankung ist – sie wird doppelt so häufig diagnostiziert wie eine Depression, die schon als „Volkskrankheit“ bezeichnet wird. Europaweit erkranken jährlich 61,5 Millionen Menschen an einer Angststörung, so Dr. Deimling. Die Erkrankung bedeutet eine hohe Krankheitslast und damit auch einen Verlust an Lebensjahren. „Wir müssen die Erkrankung ernst nehmen“, so die Ärztin. „Für uns ist das ein wichtiges Thema.“
Was sind Furcht, Angst, Phobie, Panik?
Doch bevor man über die Erkrankung spricht, sollte man zunächst Begrifflichkeiten klären. Auf der einen Seite gibt es eine (positive) Furcht, die das Überleben sichert – es ist eine Basis-Emotion. Das Gefühl einer realen Bedrohung verursacht körperliche Reaktionen, Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit steigen, die Konzentration erhöht sich.
Im Gegensatz dazu stehen Angst, Phobie und Panik, die einen Krankheitswert darstellen, erläuterte Dr. Barbara Deimling. Eine Phobie äußert sich in einer übersteigerten, krankheitswertigen Furchtreaktion, verursacht unangemessen starke Ängste. Die Wissenschaft kennt mehr als 600 Phobien. Angst hat keinen spezifischen Auslöser, ist diffus, ungerichtet, zukunftsorientiert; sie breitet sich aus – daraus entsteht Panik, also intensive Angst und Kontrollverlust. Angst und Phobie gemein ist, dass durch sie eine Vermeidungsangst verursacht wird.
Es gibt Risikofaktoren, die eine krankheitswertige Angst entstehen lassen: Stress, traumatische Erlebnisse, genetische Faktoren, Persönlichkeitszüge, körperliche Erkrankungen, Alkohol und Drogen. Im Gehirn ist die Amygdala (auch bekannt als „Mandelkern“) das „Angst-Organ“, erläuterte Barbara Deimling. Zusammen mit dem Hippocampus regelt diese Region emotionale Äußerungen.
Therapie beruht auf zwei Säulen
Menschen, die sich wegen einer Angststörung in Behandlung begeben, werden auf einer auf zwei gleichwertigen Säulen aufbauenden Therapie behandelt: Pharmakotherapie und Psychotherapie. In der Pharmakotherapie wird durch die Gabe von Antidepressiva der Serotoninmangel behoben. Die Psychotherapie arbeitet mit den Patienten mit Exposition, kognitiver Umstrukturierung, Psychoedukation sowie Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen.
Angstwelle entsteht - Experiment mit Publikum
Wie eine „Angstwelle“ entstehen kann, zeigte Anne Leber mit einem interessanten Experiment: Sie forderte das Auditorium auf, die Augen zu schließen. Dann schritt sie durch den Saal und kündigte an, dass sie Personen an die Schulter tippen und ihnen Fragen stellen wird. Langsam lief sie durch die Reihen, kam näher an Menschen heran, sprach dabei, entfernte sich wieder. Auf diese Weise entstand bei den Probandinnen und Probanden eine Erwartungshaltung, unter anderem Anspannung. Am Ende durften alle wieder die Augen öffnen – nichts war passiert. Dennoch wurde eine Erwartungshaltung erzeugt, die Menschen achteten auf die Schritte und auf eine näher oder entfernte Stimme und eruierten, ob sie vielleicht unangenehme Fragen beantworten sollten. „Das ist eine angemessene Reaktion“, sagte Anne Leber.
„Dann kommt die Psychotherapie ins Spiel“
Wer Angst hat, muss sehr viel aushalten. Es schießen sehr viele verschiedene Gedanken durch den Kopf, Gefühle werden ausgelöst, etwa Angst, Ärger, Traurigkeit, Scham. Der Körper reagiert mit Herzklopfen, man ist außer Atem, schwitzt, hat einen flauen Magen, „Watte im Kopf“. Das Verhalten darauf „ist ganz entscheidend“, so die Leitende Psychologin der Klinik. Manche Menschen reagieren vermehrt mit Vermeidung, Flucht, mit Sicherheitsstrategien. Das bringt wohl kurzfristig Erleichterung, hat langfristig jedoch negative Konsequenzen. „Dann kommt die Psychotherapie ins Spiel.“
Anne Leber nannte Bewältigungsstrategien, um sich Alltagsängsten zu stellen: Entspannungsübungen (zu Beginn ihres Vortrags gab sie dafür ein Beispiel) können helfen, ein Realitätscheck kann zeigen, dass es nicht so schlimm ist oder wird wie man befürchtet. Zu einer Psychoedukation gehört es, den Angstkreislauf zu kennen. Positive Selbstinstruktionen machen Mut. Entscheidend ist allerdings, sich der Angst zu stellen. Wenn dies alleine nicht gelingt, kommt die Psychotherapie ins Spiel. Wolfgang Pape