30 Jahre Geriatrie in Rheinland-Pfalz - Ganzheitliche Medizin für ein gesundes, selbstbestimmtes Leben im Alter
Markante Entwicklung auch an der Geriatrischen Fachklinik Rheinhessen-Nahe
Die Disziplin Geriatrie feiert in Rheinland-Pfalz ihr 30-jähriges Bestehen. Erst mit der Umkehrung der Alterspyramide, immer älter werdenden Menschen mit alterstypischen Erkrankungen, erkannte man die Notwendigkeit, die Versorgung neu zu denken. Das geschah und gelang mit einer handelnden Politik und Fachleuten, die sich beherzt einsetzten.
Ein gutes Beispiel für die Entwicklung der Geriatrie in Rheinland-Pfalz bietet die Geriatrische Fachklinik Rheinhessen-Nahe. Mit dem Zentrum für Altersmedizin im Bad Kreuznacher Stadtteil Bad Münster am Stein-Ebernburg verfügt das Landeskrankenhaus heute über einen landesweit überaus wichtigen Stützpunkt zur umfassenden Behandlung geriatrischer Patientinnen und Patienten.
Die Geriatrie ist eine medizinische Fachdisziplin, die die meisten früher oder später angeht. Ältere Patientinnen und Patienten weisen oft eine erhöhte Vulnerabilität auf und sind multimorbide, leiden also gleichzeitig unter mindestens zwei behandlungsbedürftigen Erkrankungen. Sie müssen umfassender behandelt werden; bei älteren Menschen geht es unter Umständen auch darum, dass ihnen der Erhalt eines selbstständigen Lebens im eigenen sozialen Umfeld ermöglicht wird.
Größerer Versorgungsbedarf war und ist auch künftig absehbar
Die Geburtenpyramide war 1995 längst nicht mehr als Pyramide zu erkennen. Die Zahl der über 65-Jährigen stieg stetig an. Somit war ein größerer Versorgungsbedarf absehbar - bei noch fehlender geriatrischer Expertise. Ältere Menschen mit Mehrfacherkrankungen wie Diabetes, Herzinsuffizienz oder Arthrose wurden zu dieser Zeit in der Regel in Allgemeinkrankenhäusern behandelt.
Der Ausblick damals: Bis zum Jahr 2020 sollte knapp ein Viertel der Menschen in Rheinland-Pfalz über 65 Jahre alt sein. Das war ein Auslöser für den Aufbau eines landesweiten geriatrischen Versorgungssystems.
2040: 28 Prozent über 65 Jahre
2040 werden in Rheinland-Pfalz 28 Prozent der Bürgerinnen und Bürger über 65 Jahre alt sein (also eine erneute Steigerung der Quote von 2020), davon etwa 400.000 über 80 (das wären mehr als 100.000 mehr als noch 2020). Wohlgemerkt gelten diese Zahlen nur für das ländlich geprägte Bundesland Rheinland-Pfalz mit etwa 4,1 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Der weiter zu erwartende Anstieg bedeutet zugleich, dass der Ausbau der geriatrischen Versorgung noch nicht zu einem Ende gekommen sein kann. „Die wachsende Gruppe älterer Patientinnen und Patienten, insbesondere der über 80-Jährigen, weist eine hohe Vulnerabilität auf und leidet an multiplen Krankheiten“, weiß Dr. Jochen Heckmann, Ärztlicher Direktor der Geriatrischen Fachklinik Rheinhessen-Nahe (GFK) und Sprecher des Landesverbands Geriatrie.
Start der klinischen Geriatrie in der St. Irminen-Klinik Trier
1995 begann die Geschichte der klinischen Geriatrie in Rheinland-Pfalz mit der Eröffnung der geriatrischen Reha-Klinik St. Irminen in Trier als Modellprojekt. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Geriatrie als „Reparaturbetrieb“ (Zitat Prof. Dr. Roland Hardt, Mainz). Doch dann begann man, die Versorgung geriatrischer Patienten neu zu denken.
Nun stand ein geriatrisches Assessment, eine detaillierte Funktionsbeurteilung am Anfang und am Ende der Behandlung. Zu den Zeitpunkten drei Monate und ein Jahr nach der Entlassung wurden die Patienten zu Hause aufgesucht und mit den selben Assessmentinstrumenten beurteilt. Die Ergebnisse dieses Vorgehens waren gut.
Später stellte sich die Frage, ob das Geriatriekonzept des Landes Rheinland-Pfalz durch die Erweiterung um akutgeriatrische Behandlungseinheiten im Krankenhaus eine Verbesserung erfahren könnte. Also wurde 2005 am Katholischen Klinikum Mainz (KKM) ein Modellprojekt gestartet mit der Gründung einer Hauptfachabteilung mit 36 Betten. Das Behandlungskonzept wurde vom ersten Tag an konsequent umgesetzt.
Kombination aus aktivierender Pflege und funktioneller Therapie
Durch eine Kombination frühestmöglicher aktivierender Pflege und funktioneller Therapie mit einer optimierten medizinischen Versorgung auf jedem Behandlungslevel, konnte die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten deutlich gebessert nach Hause entlassen oder in einem fortgeschrittenen Status in Reha-Kliniken verlegt werden.
Eine ungebrochene Nachfrage nach akutgeriatrischer Behandlung sowie der Wunsch der Universitätsmedizin Mainz nach weiteren Verlegungsmöglichkeiten geriatrischer Patienten führte dann zur Gründung einer geriatrischen Station des KKM auf dem Campus der Universitätsmedizin Mainz. Das Projekt wurde anfangs teils argwöhnisch betrachtet, jedoch auch durch die tatkräftige Unterstützung der Landesregierung im Jahr 2009 begründet und erfolgreich umgesetzt. Die Geriatrische KKM-Klinik des einstigen Modellprojekts war damit auf 100 Betten angewachsen.
Die Erfahrungen führten zu einem Umdenken hinsichtlich der Integration geriatrischer Medizin auch in den Akutkrankenhäusern in Rheinland-Pfalz - ganz besonders mussten die Bedingungen in unserem Flächenland berücksichtigt werden, die Versorgung der Menschen in den eher ländlich geprägten Regionen (auf die Erreichbarkeit wird bis heute geachtet).
Krankheiten im Alter oft besonders schwierig zu diagnostizieren
Eine Schwierigkeit bei Krankheiten im Alter: Sie können voneinander abweichend vorliegen und sind deshalb oft besonders schwierig zu diagnostizieren. „Das Ansprechen auf eine Behandlung ist oft verzögert und häufig besteht ein Bedarf nach gleichzeitiger sozialer Unterstützung, da die meisten Patientinnen und Patienten zu Hause wohnen“, erläutert Dr. Heckmann.
Parallel zum Ausbau der Strukturen wurde die Qualifikation gestärkt. Die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz führte die Fachkunde Geriatrie ein als berufsbegleitende Weiterbildung für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.
„Geriater“ sind Fachärzte, die den „Schwerpunkt Geriatrie“ im Rahmen einer zweijährigen stationären Weiterbildung für Internisten, Allgemeinmediziner, Neurologen oder Psychiater absolvieren. Die ärztliche „Zusatzbezeichnung Geriatrie“ wird nach einer 18 Monate währenden stationären Weiterbildung (für alle anderen Fachärzte) erworben.
Worin besteht deren besondere Kompetenz? Die Sektion Geriatrie der Europäischen Vereinigung der Fachärzte (UEMS) beschreibt die Kompetenz der Geriatrie als medizinische Spezialdisziplin, die sich mit physischen, psychischen, funktionellen und sozialen Aspekten bei der medizinischen Betreuung älterer Menschen befasst. Dazu gehört die Behandlung älterer Patientinnen und Patienten bei akuten Erkrankungen, chronischen Erkrankungen, präventiver Zielsetzung, (früh-)rehabilitativen Fragestellungen und speziellen, auch palliativen Fragestellungen am Lebensende.
Geriatrie ist ganzheitliche Medizin und interdisziplinär
Zusammenfassend lässt sich in Anlehnung an Dr. Heckmann sagen: Geriatrische Medizin geht über einen organzentrierten Zugang hinaus und bietet zusätzliche Behandlung in einem interdisziplinären Team an - der Teamgedanke ist sehr ausgeprägt, da bei der Behandlung Pflegekräfte, Therapeut:innen und Sozialarbeiter:innen ein bedeutender Teil sind.
Geriatrie ist damit ganzheitliche Medizin. Das Hauptziel einer solchen Behandlung ist die Optimierung des funktionellen Status der älteren Patientinnen und Patienten mit Verbesserung der Lebensqualität und Erhalt der Selbstbestimmung.
So lange wie möglich selbstbestimmt leben
Im rheinland-pfälzischen Geriatriekonzept werden die notwendigen Bedarfe, Strukturen und Ziele beschrieben, um den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen: Es zielt darauf ab, dass die Menschen in Rheinland-Pfalz so lange wie möglich selbstbestimmt leben können. Dauerhafte Pflegebedürftigkeit und der Verlust von Eigenständigkeit sollen soweit es geht vermieden werden, so die Beschreibung des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums.
Die 2016 erschienene Neufassung gibt den bisherigen Umsetzungsstand wieder und greift weitere Bestandteile der geriatrischen Versorgung auf. Zudem soll es die geriatrischen Leistungsanbieter dazu ermutigen, ihre Energie auch in den Aufbau von Netzwerken zu investieren. Ein weiteres wichtiges Element in der medizinischen und pflegerischen Versorgung einer älter werdenden Gesellschaft ist der Ausbau der Demenzkompetenz in den Krankenhäusern.
Die Entwicklung geht weiter
Das Gutachten von 2025 zur Krankenhauslandschaft im Hinblick auf die Veränderungen im Rahmen des KHVVG (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, einsehbar unter gesundheit.rlp.de) fordert die Notwendigkeit der Anpassung der geriatrischen Versorgung im stationären bzw. teilstationären Bereich (Seite 244 f.) und empfiehlt eine Weiterentwicklung des stationären Bereichs. Der aktuell nur gering entwickelte teilstationäre Bereich mit Tageskliniken sollte ein wichtiger Baustein in der Versorgungslandschaft werden. Zum letztgenannten Punkt schlug der Bundesverband Geriatrie vor, ambulante geriatrische Zentren zu entwickeln, die alle ambulanten, teilstationären und mobilen Angebote vereinen. Dies, so Dr. Heckmann, würde bedeuten, dass Patientinnen und Patienten bedarfsgerecht in einer Klinik oder zu Hause behandelt werden könnten - so könnten die Grenzen von Krankenhaus und Rehabiltation überwunden werden.
Von der Klinik für Kriegsversehrte zum Zentrum für Altersmedizin
Auch die Geriatrische Fachklinik Rheinhessen-Nahe hat sich im Laufe der Jahre markant weiterentwickelt. Die einstige Rehaklinik für Kriegsversehrte ist heute ein wichtiges Zentrum für Altersmedizin. Seit der Modernisierung und Zusammenlegung der zwei Standorte vor wenigen Jahren, befindet sich in Bad Münster am Stein-Ebernburg ein Behandlungszentrum für stationäre Akutgeriatrie mit tagesklinischen Plätzen in den Bereichen Akutgeriatrie und Gerontopsychiatrie, Rehabilitationsbetten, ambulanten Rehaplätzen und eine mobile geriatrische Rehabilitation. Wolfgang Pape
