„Vorgehen der Kostenträger ein Skandal“

Früherer RFK-Direktor Wolfgang Guth hält Dokumentationspläne in Psychiatrie für unsinnig

Von Thomas Ehlke

ALZEY Dr. Wolfgang Guth ist als besonnener Mensch und fachlich fundierter Mediziner bekannt. Blickt der frühere Ärztliche Direktor der Rheinhessen-Fachklinik jedoch auf die jüngsten Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses, dann schwillt ihm der Kamm. Das Selbstverwaltungsverwaltungsgremium von Kassen und Krankenhäusern hat entschieden, dass ab 1. Januar 2020 Personal und Arbeitszeit in psychiatrischen Einrichtungen genau dokumentiert werden müssen (die AZ berichtete). Während die Belegschaft bei einer Demo der Gewerkschaft ver.di befürchtet, dass dadurch die Mindestpersonalstärke abgesenkt werden kann, treibt die Klinikleitung die Konsequenz der Ausschussentscheidung um. Denn jede Minute, die für die Dokumentation draufgeht, fehlt der Pflege des Patienten.

Nachrichten, über die sich Dr. Wolfgang Guth täglich aufs Neue aufregt. Und er macht seinem Ärger über das Vorgehen des Bundesausschusses Luft: „Was geht in den Köpfen dieser Leute vor? Haben sie überhaupt eine Vorstellung, welche verantwortungsvolle Aufgabe es ist, einen psychisch Kranken zu behandeln und zu pflegen?“

In seiner Zeit als Ärztlicher Direktor der Rheinhessen-Fachklinik, habe er sich immer gegen unsinnige Dokumentationsverordnungen der Kostenträger zulasten der Patienten gewehrt. Der jetzige Beschluss bringe jedoch das Fass zum Überlaufen. „Man muss sich wundern, dass überhaupt Menschen sich noch bereitfinden, diese Aufgabe zu übernehmen, trotz katastrophalen Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung und nicht unbedingt großer gesellschaftlicher Anerkennung“, bricht der Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie eine Lanze für das Pflegepersonal und dessen verantwortungsvollen Job.

Guth hält die Dokumentationsauflagen der gesetzlichen Kassen schlicht für „unsinnig“. Nicht zuletzt deshalb, weil er an deren praktischer Umsetzbarkeit zweifelt. Denn die Auflagen führten seiner Ansicht nach dazu, dass neben mangelnder Pflege und Zuwendung die Aufgaben, die dokumentiert werden sollen, überhaupt nicht mehr durchgeführt werden könnten, da auch die beste Betreuungskraft sich nicht aufteilen könne. „Meines Erachtens kann man das Vorgehen der Kostenträger eigentlich nur als Skandal betrachten“, bringt er seine Kritik auf den Punkt und fügt hinzu: „Es gab eine Zeit, da gehörte die Behandlung und Pflege von Kranken zur Daseinsfürsorge. Davon sind wir jetzt leider ziemlich weit entfernt.“

Der Ärztliche Direktor a.D. plädiert daher für einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik. Es sei höchste Zeit, auch im Gesundheitswesen die überwiegend ökonomisch orientierten Denkweisen zurückzuschrauben, zugunsten einer modernen und vor allem menschlichen Behandlung und Pflege, fordert Wolfgang Guth.

Allgemeine Zeitung, 30. September 2019

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