Viele Erkenntnisse bei Digital-Workshops

Am Ende war Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann erleichtert, dass alles geklappt hat: Erstmals hatte das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz ein großes Symposium mit vier Workshops rein online veranstaltet – ein Wagnis. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt: Mehr als 400 Teilnehmer beim Auftaktsymposium (hier geht’s zum Artikel​​​​​​​), dazu zwischen 100 und 200 Teilnehmer aus ganz Deutschland bei den Workshops. „Ich bin erleichtert, dass auch technisch alles geklappt hat“, sagt die Organisatorin.

Leuchtturm im Sturm

Aber vor allem zeigte die positive Resonanz vor allem Eines: Das Thema Resilienz in der Pflege ist brandaktuell. Das mag auch einer der wenigen positiven Effekte von Corona gewesen sein. Plötzlich ergab sich für viele die Möglichkeit, sich in die eine oder andere Veranstaltung einzuklinken. „Wir haben viele Rückmeldungen erhalten, die das Format sehr gelobt haben“, sagt Wuttke-Linnemann.

Digitale Workshops erfolgreich

Anstatt sich zwei Tage am Stück für eine ähnlich reichhaltige Veranstaltung freizuschaufeln oder gar Urlaub nehmen zu müssen und dabei für Kollegen oder für pflegende Angehörige einen Ersatz zu beschaffen, wurden die fünf Veranstaltungen über zwei Wochen verteilt, in gut verdaulichen Ein bis Zwei-Stunden-Portionen. Offenbar war das eine kluge Entscheidung. „Die Corona Krise hat die Stressbelastung sowohl bei professionell Pflegenden als auch bei pflegenden Angehörigen noch einmal deutlich verstärkt“, sagt Wuttke-Linnemann. „Das erklärt sicher auch zum Teil die große Resonanz der Veranstaltung. Unsere Befürchtung, dass die Diskussion zu ,Corona-lastig’ wird, hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet.“

Laut Wuttke-Linnemann konnte mit dem Fachtag ein inhaltliches Hauptanliegen der Veranstalter erfolgreich transportiert werden: „Wichtig war uns, sowohl die individuelle Komponente von Resilienz zu thematisieren, die ,innere Haltung’, das individuelle Gesundheitsverhalten, als auch die gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen Resilienz erst wirksam werden kann. Bei der informellen Pflege wäre das etwa unbürokratische und bedarfsgerechte psychosoziale Unterstützung, Anerkennung, Entstigmatisierung; bei der professionellen Pflege stehen neben der inneren Haltung Arbeitsbedingungen, Anerkennung, Entlohnung im Vordergrund. Erst das Zusammenspiel dieser inneren und äußeren Aspekte macht uns auch in der Pflege widerstandsfähig. Damit gesund pflegen nicht krank macht.“

Bei den Reaktionen der sowohl professionell als auch informell Pflegenden zeigte sich am Ende ein roter Faden. „Informelle und professionelle Pflege haben mehr gemeinsam als man denkt“, sagt Wuttke-Linnemann. Nahmen sich die beiden bis dahin teilweise eher als Gegenspieler in der selben Sache wahr, die sich gegenseitig Aufgaben zuschoben, entwickelten viele durch die Veranstaltungen eine verständnisvollere Perspektive des jeweils anderen. Denn beide Gruppen haben so viel gemeinsam.

Etwa das, was die Forschung als „overcommitment“ bezeichnet, also so lange so weit über die eigenen Grenzen hinaus die Rolle erfüllen zu wollen, bis man selbst nicht mehr kann. „Viel zu spät wird sich dann Hilfe gesucht“, beobachtet Wuttke-Linnemann in ihrer beruflichen Praxis immer wieder. Bei einem Unfall sei erste Hilfe selbstverständlich, so zitiert die Psychologin aus einem der Workshops. „Für die eigene Psyche ist dieser Schutzmechanismus dagegen überhaupt nicht etabliert.“ Folge: Man schaut viel zu spät erst richtig hin. Auch das Thema fehlende Wertschätzung ist ein Element, das professionelle und informelle Pflegende verbindet.

Zu viel Bürokratie

„Wir erleben praktisch zwei Berufsstände in der Krise“, so Wuttke-Linnemann. Immer wieder fällt dabei auf: Oft kommen die Pflegenden viel zu spät an Informationen allgemein oder die für sie richtigen Informationen. Zudem werde alles als sehr bürokratisch empfunden. „Viele versuchen alles alleine zu machen“, sagt Wuttke-Linnemann. Dabei gibt es praktisch flächendeckend die so genannten Pflegestützpunkte, die bei Formularen helfen können, Selbsthilfegruppen anbieten oder Unterstützung vermitteln. Doch bis man an diese Informationen gelangt, sind oft schon mehrere Monate vergangen – wertvolle Zeit verstreicht ungenutzt.

Hilfe wird zu spät in Anspruch genommen

Im ZpGA hat man inzwischen erkannt, dass sich pflegende Angehörige oft zu spät Hilfe holen. Darum geht man dort seit einiger Zeit einen anderen Weg und versucht innovative Versorgungsmodelle in Modellprojekten zu erproben: Das Zentrum schult den Blick der Hausärzte auch für die pflegenden Angehörigen, um diese frühzeitig an die Pflegestützpunkte zu vermitteln. „Eine bessere Vernetzung ist unumgänglich im Gesundheitssystem geworden“, fasst Wuttke-Linnemann den Ansatz zusammen.

Grundsätzlich sei man schon relativ nah dran an Pflegenden und Angehörigen. Aber das Angebot sei vielfach regional noch sehr unterschiedlich aufgestellt. Strukturen, an die man sich in einer Region mit der Zeit vertraut gemacht hat, sind leider nicht auf andere Regionen oder gar Nachbarbundesländer übertragbar, sagt Wuttke-Linnemann. Damit beginnt die Suche oft immer wieder von vorne.

War das Symposium nun ein Modell für weitere, ähnlich gelagerte Veranstaltungen? „Beim nächsten Mal wird Corona hoffentlich vorbei sein“, sagt Wuttke-Linnemann. „Wahrscheinlich würde eine Präsenzveranstaltung auch nicht so gut besucht.“ Aber es habe sich gezeigt: Das Thema ist brandaktuell. „Corona war zwar nicht explizit Thema, eher nur am Rande. Die Relevanz geht über Corona hinaus.“ Die Veranstaltung kopieren will man nicht. „Wir werden wohl eher schauen, wie wir regelmäßig Formate etablieren können.“ Das selbe Thema wird es dann möglicherweise nicht sein.

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