Klinik Nette-Gut setzt mit Forensiktagen Maßstäbe

Zwangsbehandlung und Beziehungsgestaltung im Maßregelvollzug standen im Mittelpunkt der Fachtagung

Die Klinik Nette-Gut setzt mit der Fachtagung "Forensiktage" Maßstäbe in der Branche

Unter dem Titel „Don’ t stand so close to me … Beziehungsgestaltung im Maßregelvollzug“ besetzten die Verantwortlichen der Forensiktage der Klinik Nette-Gut erneut überaus wichtige Themen. So muss der Maßregelvollzug natürlich besonders gesichert sein. Andererseits muss den Patienten aber ein geeignetes Behandlungsangebot unterbreitet werden, wie es der Ärztliche Direktor Dr. Frank Goldbeck in der Begrüßung formulierte.

Sowohl das Thema als auch die Referentinnen und Referenten seien „exzellent ausgewählt“, befand Dr. Alexander Wilhelm, Geschäftsführer des Landeskrankenhauses (LKH), der Träger der Klinik Nette-Gut. Dass die Veranstaltung schnell ausgebucht war, beweise, dass dieses Thema die Fachwelt bewege. Nicole Steingaß, Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit sowie Aufsichtsratsvorsitzende des Landeskrankenhauses, sagte, die Zahl der Aggressionsereignisse und Absonderungen habe zugenommen. „Das schafft keine gute Atmosphäre.“ Die rechtlichen Rahmenbedingungen im Blick zu haben, eine professionelle Distanz zu halten und gleichzeitig eine Beziehung zu den Patienten aufzubauen „ist nicht leicht. Es sind aber Aufgaben, denen Sie täglich gegenüberstehen“.

Wie gewohnt wurden zu den Vorträgen Vertiefungsseminare angeboten, die rege genutzt wurden. Und ebenfalls wie gewohnt und bewährt moderierte die Diplom-Psychologin und Fachpsychologin für Rechtspsychologie, Sonja Dette, die beiden Veranstaltungstage.

Kontroverses Thema Zwangsmaßnahmen

Catherine Hübl, als Referentin für Rechtsangelegenheiten im LKH für die Einrichtungen und die Themen des Maßregelvollzugs sowie PsychKHG zuständig, sprach über „juristische Betrachtung der Zwangsmedikation in der Forensik“. Dr. Valenka Dorsch, Oberärztin der Psychomedizinischen Abteilung in der Klinik Nette-Gut, nahm die kontroverse Diskussion um Zwangsmaßnahmen aus ärztlicher Sicht auf. Carina Mallmann, pflegefachliche Leitung einer geschützten Station in der KNG, fokussierte sich in ihrem Vortrag auf die Betroffenenperspektive, auf die Auswirkungen von Zwang auf die professionelle Beziehung. Dr. Wilhelm Prange, Oberarzt in der Abteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie I der LVR-Klinik Köln, erläuterte, wie das schematherapeutische Konzept der Beziehungsgestaltung im Sinne des „limited reparenting" durch modusspezifische Interventionen Behandler:innen unterstützen kann, herausforderndes Patient:innenverhalten im Sinne korrigierender (emotionaler) Erfahrungen therapeutisch nutzbar zu machen.

Der zweite Tag der Forensiktage wurde von Dr. Norbert Schalast (LVR-Klinik Viersen, Abteilung für forensische Psychiatrie) mit dem Vortrag „Mitarbeiterinnen im Maßregelvollzug und das Problem von Grenzüberschreitungen“ eröffnet, in dem die Bedingungen für unprofessionelle emotionale Verstrickungen und intime Grenzüberschreitungen untersucht wurden. Dr. Henning Hachtel, Chefarzt und stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Forensik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, sprach zu „Besonderheiten in der therapeutischen Beziehung bei forensisch-psychiatrischen Patient:innen“. Die „Qualität der Beziehung prägt stärker als spezielle Psychotherapietechniken“, sagte er. Der zwischenmenschliche Stil beeinflusst die Qualität der therapeutischen Beziehung.

In den letzten beiden Vorträgen wird stets ein Blick in die Zukunft gewagt. So zeigte Dr. Barbara Bergmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Bonn, erste Befunde aus der Evaluation der Liste zur Vorhersage von Entweichungs- und Lockerungsmissbrauchstendenzen (LIVELT). Die LIVELT wurde entwickelt, um die Wahrscheinlichkeit von Entweichungen oder Lockerungsmissbräuchen abzuschätzen. Sie wird seit 2013 in der KNG im Rahmen der Lockerungsbeurteilung eingesetzt. Die Studie soll erstmals die Vorhersagekraft der LIVELT untersuchen.

Künstliche Intelligenz in der Forensik?

Der Rechtswissenschaftler Dr. Felix Butz, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig und Referendar am Kammergericht Berlin, referierte zum Stand der Forschungen, um künstliche Intelligenz in der forensischen Prognosebegutachtung einzusetzen. In Deutschland gibt es Studien dazu, aber keine verstetigte Praxisanwendungen. Auch wenn solche Modelle Chancen bieten, wie etwa größere Effizienz oder bessere Prognoseleistungen, vergaß er nicht, vor den Risiken zu warnen, wie Diskriminierung, mangelnde Transparenz und Autonomieverlust auf Seiten der Betroffenen wie auch der Anwender. Sein Fazit: „Wir brauchen eine robuste Regulierung“, Sicherheit könne nicht alleine über Technologie hergestellt werden.

Fazit fällt sehr positiv aus

Dr. Frank Goldbeck zeigte sich sehr zufrieden mit dem Verlauf der Veranstaltung. Er sprach von „tollen Teilnehmern, tollen Referenten und guten Diskussionen“ und freute sich über positive Rückmeldungen aus den Vertiefungsseminaren. Das Thema in diesem Jahr beleuchtete die beiden Bereiche des Maßregelvollzugs: Sicherung und Therapie. In der Therapie sei die Beziehungsgestaltung entscheidend, sagte er. Wolfgang Pape

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