Geschichte der Klinik Viktoriastift
Chronik der Klinik Viktoriastit
Aus der hundertjährigen Chronik des Viktoriastifts Bad Kreuznach von Richard Walter
Hundert Jahre Viktoriastift - das liest sich leicht, ist schnell gesagt, und wiegt doch so inhaltsschwer. Nicht eine gerade Linie verbindet die beiden Jahreszahlen 1878 und 1978. Auf und ab führt der Weg des Viktoriastifts von der Eröffnung am 4. Juni 1878 bis zum ,,Hundertjährigen",das 1978 einen Tag vor dem Stiftungstag begangen wird. Viele Verästelungen und viele Stationen weist der hundertjährige Weg auf, und an Hindernissen ist er ebenso reich wie an markanten Ereignissen. Denn auch die Zielsetzung war Wandlungen unterworfen. Verschiebungen traten ein, neue Schwerpunkte bildeten sich.
Doch so groß auch die Belastungen waren und so vielfältig die Probleme, die meist von außen herangetragen wurden - das Viktoriastift überstand alle Fährnisse. Dank einer außerordentlichen Dynamik, mit der die Verantwortlichen auf alle neu sich stellenden Fragen reagierten und die darum auch der hundertjährigen Chronik ihren Stempel aufdrückt, weil die dynamische Führung dem Viktoriastift stets eigentümlich war und ist.
Kinder begründeten Bad Kreuznachs Ruf
Kinder waren es, die vor 160 Jahren den Ruf Kreuznachs als Kur- und Badestadt begründeten. "Tausende und Abertausende Kinder jedoch von wohlhabenden Eltern aller Nationen", so heißt es in einer im Mai 1877 veröffentlichten und vom Vorstand der "Kreuznacher Kinder-Heilanstalt" unterzeichneten Erklärung, "haben seit der Gründung des Bades Heilung von der verderblichen Skrofulöse gefunden". Dieses "Monopol der Reichen" gelte es zu brechen. Darum solle Kindern unbemittelter Eltern jeder Konfession und Herkunft ein Badehaus gebaut, Bäder und kräftige Nahrung sollten ihnen gegen Selbstkostenpreis abgegeben und für ihre liebevolle Aufsicht und Pflege Sorge getragen werden.
Die Anregung zur Errichtung einer ersten "Volksheilstätte" in Bad Kreuznach hatte der damalige Landrat Otto Agricola vom Zentral-Ausschuss für die Innere Mission in der evangelischen Kirche Preußens empfangen, als dieser in Kreuznach tagte. Landrat Agricola - einer der bedeutendsten Landräte des Kreises Bad Kreuznach; mit über 40 Jahren Amtstätigkeit zugleich der dienstälteste in der 160-jährigen Kreisgeschichte - bildete mit umsichtigen und einflussreichen Männern aus Stadt und Kreis den Vorstand (Agricola, Bunnemann, Dörmer, Geyger, Oxe, Schmithals, Wenzel) und den Aufsichtsrat der "Kreuznacher Kinder-Heilanstalt" im Jahre 1876.
Im "gesündesten Teil" der Badestadt - gegenüber dem heutigen Oranienpark - wurde ein Bauplatz erworben. Im Mai 1877 wurde mit der Errichtung eines "Anstaltshauses" begonnen. Es umfasste zwei Schlafsäle zu je 30 Betten in zwei massiven Baracken - heute würde man Pavillons dazu sagen -, die durch überdeckten Gänge mit einem zweistöckigen massiven Mittelbau und zwei eingeschossigen Seitenflügeln verbunden waren. Im Mittelbau gehörten Geschäftsräume, Spiel- und Speisesäle sowie ein weiterer Schlafsaal mit 20 Betten und die Baderäume dazu. Aber auch ein Garten und ein Spielplatz, Kuhstallung und Wirtschaftsgelasse" wurden auf dem - heute von Salinen -, Gartenbrunnen-und Forstmeister-Gräff-Straße eingegrenzten - Gelände angelegt.
Es war das Jahr, in dem Heilsarmee und Weltpostverein gegründet und das Telefon in Deutschland eingeführt wurden. In Paris fand eine Weltausstellung statt. In Kuba endete der Bürgerkrieg mit einem spanischen Sieg. Der britisch-afghanische Krieg begann. England gewann Cypern von der Türkei, in Deutschland wurden am 11. Mai und 2. Juni Attentate auf den 81jährigen Kaiser verübt. Tausende Kreuznacher und ,,Kurfremde" unterschrieben Ergebenheitsadressen an den verletzten Monarchen. Die Kurmusik fiel aus. Und als die ,,Kreuznacher Kinder-Heilanstalt" am 4. Juni eröffnet wurde, gaben (laut Kreuznacher Tageblatt vom 5. Juni 1878) auch die Redner ,,ihrer tiefen Erschütterung über die Schreckenstat des Vortags" Ausdruck. Der Pfarrer schloss in sein Gebet für das Gedeihen der jungen Anstalt die Fürbitte "für die Erhaltung des Lebens Seiner Majestät" ein, und die Versammelten stimmten ,,Nun danket alle Gott" an.
Die Namenspatin Viktoria
Das Berliner Attentat und die Übertragung der Regierungsgeschäfte an Kronprinz Friedrich Wilhelm, der am 8. Juni Bismarcks Antrag an den Bundesrat, den Reichstag aufzulösen, mitunterschreiben musste (Die neue, gefügigere Parlamentsmehrheit beschloss dann das Sozialistengesetz, das die Integration der Arbeiterschaft in den Nationalstaat verhinderte), mag der Grund dafür gewesen sein, dass die Eröffnung des Viktoriastifts ohne seine Patin, die Kronprinzessin Viktoria von Preußen (1840-1901), vorgenommen wurde. Die Tochter der britischen Königin Viktoria, 1858 mit dem Kronprinz Friedrich Wilhelm vermählt, hatte das Protektorat über die Kinder-Heilanstalt übernommen. Sie war ihrem Gemahl an Tatkraft und Klugheit überlegen. Als dieser tödlich erkrankt 1888 als Friedrich III., Deutscher Kaiser und König von Preußen, den Thron bestieg, nahm er unter Viktorias Einfluss eine scharfe Oppositionsstellung gegenüber der Politik Bismarcks ein - im Sinne des liberalen Bürgertums. Diese Neigung zum Liberalismus konnte sich jedoch nicht auswirken. Nach 99 Tagen starb Friedrich III. Viktoria aber, Mutter Kaiser Wilhelms II., die schon in der Eröffnungszeit in weiten Kreisen Interesse für die Kreuznacher Anstalt geweckt hatte, schickte bis zu ihrem Tode alljährlich zu Weihnachten Wäsche- und Lebensmittelpakete. Aus der Volksspende zur Silberhochzeit des Kronprinzenpaares 1883 überwies sie 40 000 Mark an die Anstalt für deren Erweiterung.
Die Eröffnungsfeier
Bei der Eröffnung der Kreuznacher Kinderheilanstalt am 4. Juni 1878 hielt Landrat Agricola die Festansprache. Sie macht das in jener Zeit begründete soziale Anliegen der Gründer deutlich:
"Es gilt den Armen und Dienenden zu beweisen, dass die Herrschenden und Reichen mit ihnen nicht nur durch ein Band einseitigen und egoistischen Interesses sondern durch das alle Verhältnisse umspannende, reine Band menschlicher und göttlicher Liebe verknüpft sind, und dass dieses Band stark genug ist, um jenen die selbstlose Hilfe ihrer besser gestellten Mitmenschen bei allem menschlichen Elend, bei Unglück und Not zu sichern.
Wir Kreuznacher haben seit Jahren beobachtet, welche bedeutende und oft ans Wunderbare grenzende Heilwirkungen unsere gesegneten Quellen insbesondere auf kranke und geschwächte Kinder ausgeübt haben. Aber das waren nur Kinder reicher und wohlhabender Eltern, die oft aus weiter Ferne unserem Bade zugeführt wurden. Für arme Kinder, selbst aus nächster Nähe, waren die Kosten eines Badeaufenthalts damals unerschwinglich. Und doch ist die Krankheit, wofür die Kinder hier Heilung suchen und finden, die - wenn auch in den verschiedensten Formen sich äußernd - unter dem allgemeinen Namen Skrofulöse zusammengefasst wird, noch weit mehr verbreitet und noch viel verderblicher unter den Kindern der Armen. Hier wird sie durch schlechte Wohnung und Nahrung erzeugt und auf die späteren Generationen vererbt; hier untergräbt sie die ganze Konstitution und zehrt, - auch wenn sie nicht zum äußersten Elend führt - am Mark unseres Volkes, so dass auch - abgesehen von allen sittlichen Motiven - schon der drohende Verlust von vollen Arbeitskräften hier zur raschen Hilfe auffordert."
An der Eröffnungsfeier, die von Gesangsvorträgen eines Knaben- und Mädchenchors der Elementarschule umrahmt wurde, nahmen die ersten eingetroffenen Pfleglinge teil. ,,Für den augenblicklichen Bedarf genügen noch je 18 Betten in den beiden Baracken", ist im Kreuznacher Tageblatt vom 5. Juni 1878 zu lesen, das auch feststellt: ,,Auf die innere Einrichtung und Ermöglichung allergrößter Reinlichkeit, bester Ventilation ist selbstredend in ausgiebigster Weise gesorgt, wie denn der Bau auch von außen ja ein sehr stattliches und freundliches Aussehen hat".
Im ersten "Betriebsjahr", das vier Sommermonate bis 1. Oktober umfasste, wurden 74 Kinder zu einem Tagespflegesatz von 1,50 Mark aufgenommen und von drei Diakonissen aus dem Speyerer Mutterhaus betreut. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs stieg die Zahl der Pfleglinge ständig. Entsprechend musste die Zahl der Diakonissen und Ärzte erhöht werden. Das Anstaltsgebäude wurde ebenfalls ständig erweitert. Auch die Kurzeit wurde verlängert: Im Sommer 1888 entfielen bei insgesamt 18 432 Pflegetagen auf jedes Kind fünf Wochen Kur. Eine ständig wachsende Zahl von Pfleglingen für sechswöchige Badekuren überwies der Kaufmann C. Goehrs aus der Stadt Straßburg. Von 1878 bis 1914 kürten bei einer Bettenzahl von zuletzt 280 insgesamt 30423 Kinder an 851 872 Tagen jeweils von Mai bis September im Viktoriastift an der Salinenstraße.
Gern hätte man die Kuren auf die Wintermonate ausgedehnt, um dem steigenden Bedürfnis nach Kinderkuren nachzukommen. Doch war dies im alten Viktoriastift nicht möglich. So wurde 1912 beschlossen, in der alten Anstalt den Sommerbetrieb fortzuführen und an anderer Stelle eine zweite moderne Heilanstalt für ganzjährige Kuren zu erbauen.
Auf der sonnigen, mäßig hohen Cecilienhöhe, über der Saline Karlshalle, wurde ein 15400 Quadratmeter großes Gelände erworben. Mit der Planbearbeitung und Bauleitung wurde der Bad Kreuznacher Architekt Hans Best beauftragt. Im Herbst 1913 wurde mit den Ausschachtungsarbeiten begonnen. Im Mai 1914 wurde der Grundstein gelegt. Streiks und der aufflammende Weltenbrand verzögerten die Vollendung des Baus. Während Tag und Nacht der Donner der Geschütze an der Westfront in Kreuznach zu hören war, konnten endlich am 25. Februar 1916 die ersten 240 Kinder in dem fertiggestellten Cecilienhaus aufgenommen werden. Die Kronprinzessin Cecilie hatte ,,gestattet", dass das Haus diesen Namen führte. Inmitten großer Gartenanlagen bot der mit 240 Betten für Sommer- und Winterbetrieb eingerichtete Neubau schon damals ein imposantes Bild.
„In großen, ruhig wirkenden Baumassen, die sich in ihrer natürlichen Steigerung dem ansteigenden Grundstück anschließen, steht das Gebäude vor uns. Die modernen Bauformen erinnern in ihrer strengen Sachlichkeit an antike Vorbilder. Glücklich verteilt sind die Baumassen, die vorgebauten Loggien und Liegehallen sowie die großen ruhigen Dachflächen. Auf wuchtig wirkendem massivem Porphyrsockel erhebt sich in stimmungsvollem gelblichem Ton der Putzbau mit dem dunkelroten Ziegeldach und weiß gestrichenen Fenstern, die groß angelegte Räume mit überreichem Zutritt von Luft und Licht erkennen lassen."
Cecilienhaus, erbaut 1914/16, großer Umbau 1971/72
Parkhaus als Ausgleich
Insgesamt 600 Kinder hätten nun im alten Viktoriahaus und im Cecilienhaus aufgenommen werden können. Diese Zahl wurde jedoch nie erreicht. Denn das alte Viktoriastift diente seit Kriegsbeginn als Reservelazarett. Nach dem Krieg wurde es von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Da nicht abzusehen war, wann es wieder freigegeben werde, musste der Verlust dieser Kinderbetten auf andere Weise ausgeglichen werden. 1921 bot sich dazu eine günstige Gelegenheit: Ein in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts an der Salinenstraße gegenüber der Einmündung der Rheingrafenstraße erbautes Badehotel Dheil-Schmidt hatte der Vaterländische Frauenverein 1918 erworben und als Säuglingsheim und Entbindungsanstalt eingerichtet. Nun stand es wegen der zu hohen Betriebskosten zum Verkauf.
Als ,,Parkhaus" erwarb das Viktoriastift das Gebäude, das von einem 50 Ar großen, mit alten Kastanien bestandenen und bis zur heutigen Dr.-Karl-Aschoff-Straße reichenden Garten umgeben war. Nach umfangreicher Renovierung wurden hier ab 1. Februar 1922 jeweils 80 Kinder "aus dem Mittelstande, denen bei der zunehmenden Teuerung die Benützung der Heilquellen ganz unmöglich geworden war", aufgenommen.
Das so zentral gelegene Gebäude wurde 1938 "auf dringenden Wunsch des Kreisleiters" zum Spottpreis von 20 000 Mark an die ,,NSDAP" abgegeben, die darin ihre "Kreisleitung" unterbrachte. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bau durch Bomben völlig zerstört. "Zum Heimfallpreis von 35000 Mark" und unter der Bedingung, »dass die humanitäre Zweckbestimmung des Grundstücks gewahrt wird", erhielt das Viktoriastift das "Parkhaus"-Grundstück nach einem Restitutionsverfahren rückwirkend zum 1. Januar 1948 zurück. Der spätere Verkauf des Grundstücks (1960) an die Rhein-Nahe-Kraftversorgung ermöglichte den Bau des Schwesternwohnheims auf der Cecilienhöhe. Die RNK allerdings hat auf dem "Parkhaus"-Grundstück - entgegen ihrer ursprünglichen Absicht - kein Verwaltungsgebäude errichtet (es ergab sich eine andere Lösung an der Lämmerbrücke), und so liegt das Gebäude noch heute brach, lediglich als provisorischer Parkplatz genutzt...
Das 50jährige Bestehen des Viktoriastifts, das am 1. September 1928 gefeiert wurde, gab Gelegenheit, in einer Festschrift (Auflage 7000) die ersten fünf Jahrzehnte der Kinder-Heilanstalt darzustellen. Auf sie und vor allem auf den Beitrag des damaligen Vorsitzenden des Vorstands, Oberbürgermeister a. D. R. Kirschstein, stützt sich auch diese Chronik. Wenn auch nicht alle Namen der in jener Zeit an der Spitze der Stiftung stehenden Männer aufgeführt werden können, so seien stellvertretend für alle, denen Dank und Anerkennung gebührt, folgende genannt:
Landrat Agricola führte in der konstituierenden Sitzung des aus 27 Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrats am 19. März 1877 mit Stadtbürgermeister Bunnemann sowie Major a. D. Dörmer und Rentner Geyger die Gründerliste an. Ab 1894 leitete Dr. Hermann Aschoffs 17 Jahre die Geschäfte des Stifts. Das Erbe Agricolas, Geygers und Dr. Aschoffs übernahm 1911 der Kaufmann Karl Rothhaar, „dessen kaufmännisches Genie erst das schnelle Emporblühen der Anstalt ermöglichte" (Kirschstein). Er gehörte mit Landrat von Nasse (Vorsitzender), Bürgermeister Dr. Schleicher, Kreisbaumeister Damm, Dr. med. Kühler und Architekt Best auch der Baukommission für das Cecilienhaus an, trug die Geldmittel zusammen und übernahm nach der Einberufung des Architekten auch die Bauleitung.
Parkhaus an der Salinenstraße, erworben 1921
Herrenhaus des Hofguts Finkenbach/Pfalz, erworben 1926
Ihm folgte 1921 als Verwaltungsdirektor sein Schwiegersohn Otto Weirich, auf dem die Doppelarbeit des kaufmännischen Büros und des landwirtschaftlichen Betriebes - Cecilienhaus und Finkenbach - lastete. „Unter ihm hat sich die Frequenz des Hauses von 1918 bis 1928 mehr als verdoppelt", sagte Medizinalrat Dr. Vollmer 1934 im Nachruf für Direktor Weirich, der mitten aus der Arbeit abberufen wurde. "Mit Leib und Seele war er fürs Haus tätig! Das sah man u. a. in der Separatistenzeit, als die Kinder zum Teil mit Leiterwagen vom Rhein abgeholt werden mussten. Die Feier zum 50jährigen Bestehen des Stifts sah ihn auf der Höhe seiner vielseitigen Arbeit."
Goldenes Jubiläum
Über den Verlauf der Jubiläumsfeier am 1. September 1928 im Cecilienhaus berichtete der Öffentliche Anzeiger seinerzeit besonders ausführlich. Deshalb kann auch aus der Rede von Oberbürgermeister a. D. Kirschstein als Vorsitzender des Vorstands des Viktoriastifts wörtlich zitiert werden:
"Wir haben lange geschwankt, in einer Zeit, wo uns das eigentliche Heim des Viktoriastifts verschlossen ist, überhaupt dieses Fest zu feiern. Aber wir waren der Schwesternschaft eine Feststunde zur Erholung und Sammlung von ihrem aufreibenden Dienst schuldig. So feiern wir denn in diesem Tochterheim, dessen Grundstein 1914 gelegt und das 1916 fertiggestellt worden ist."
Den Reigen der Gratulanten eröffnete der Reichskommissar für das besetzte Gebiet, Freiherr Langwerth von Simmern, den Oberbürgermeister Kirschstein als "tapferen Protector Rhenaniae" feierte. Die Stadt Bad Kreuznach unterstreiche, so Bürgermeister Dr. Fischer in seinem Glückwunsch, die Verbundenheit durch die Anwesenheit von drei Bürgermeistern (auch der frühere Bürgermeister Dr. Koernicke befand sich unter den geladenen Gästen). Pfarrer Wessel (Marienwörth), Dr. Julius Hessel II (Ärzteverein), Pfarrer Nell (Provinzialausschuss für Innere Mission) und Pfarrer Bauer (Diakonie-Anstalten und Mutterhaus Speyer) gratulierten ebenfalls. Vorstandsmitglied Rothhaar verlas noch zahlreiche Glückwunschtelegramme. Die Vorstandsmitglieder Dr. Aschoff und Dr. Ley schließlich leiteten mit Lichtbildervorträgen zur Besichtigung des Cecilienhauses über, in dem die Kinder Reigen aufführten. Im festlich geschmückten Saal des Parkhauses waren abends die Teilnehmer des Jubiläums bei einem Essen vereint.
Der folgende Tag wurde mit einer Besichtigungsfahrt zum Hofgut Finkenbach unter Führung von Direktor Weirich und Architekt Best ausgefüllt. Hier hielt Aufsichtsratsmitglied Medizinalrat Dr. Vollmer eine Ansprache, in der er u. a. ausführte, der Geist der Liebe habe das Viktoriastift aus einer kleinen familienhaften Anstalt von 74 Kindern groß werden lassen zu einer Kinderheilstätte, durch die jedes Jahr 4000 Kinder gehen. "Möge am hundertsten Jubeltag die gleiche Kinderzahl da sein, aber solche, die nicht die Kriegsnot sondern der Ruf von Kreuznach als Bad allein hergelockt hat!" Auch hier folgten Glückwunschreden, darunter eine mit dem Tenor: "Das Alter sei wie die Jugend!"
Schon in dem der Jubelfeier folgenden Jahr machte sich die beginnende Weltwirtschaftskrise auch im nunmehr 51jährigen Viktoriastift bemerkbar. „Schlechte Belegung" heißt es in einer Protokollnotiz 1929. Die Pflegesätze wurden herabgesetzt, als Kinderentsendungen eingestellt wurden. Kündigungen mussten ausgesprochen werden. „Große Not wegen Unterbelegung des Stifts" stellte der Aufsichtsrat 1932 fest.
Erst 1936 schienen die Sorgen der Vorjahre behoben: Die Belegung wurde als ausreichend bezeichnet. Um die Versorgung zusätzlich mit Naturalien kostensparend zu sichern, wurde 1937 das Hofgut Zweifel in Winzenheim gepachtet. Der Aufsichtsrat trat zum letzten Male vor dem Zweiten Weltkrieg am 3. April 1938 zusammen. In dieser Sitzung, die mit dem 60. Stiftungsfest zusammenfiel, wurden Chefarzt Dr. Simsa und Verwaltungsdirektor Müller, die 1935 eingeführt worden waren, in den Aufsichtsrat und in den Vorstand gewählt.
,,Um seine Kinder auf einem größeren einheitlichen Komplex unterzubringen" wurde das Viktoriastift Ende 1938 - in einem Zwangstausch gegen das an die „NSDAP" abgegebene Parkhaus, Salinenstraße 62 - zum Ankauf des „Jüdischen Kinderheims", Karlshalle 12, veranlasst. In der sogenannten „Kristallnacht" (9. November 1938) war in dem Kinderheim alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen war, zerschlagen worden. Dr. Eckel später: „Nichts von der Einrichtung war mehr heil". Für das Gebäude musste das Viktoriastift 68000 Mark zahlen und dann weitere 60 000 Mark in den Bau stecken, damit das Heim für die Aufnahme von 80 Kindern verwendet werden konnte.
Doch nur eine Sommerperiode diente das Haus diesem Zweck. Dann wurde es von der Wehrmacht belegt. Anfang 1945 zerstörten Bomben das Haus völlig. Lediglich als Notunterkunft für stiftsangehörige Familien konnte es noch verwandt werden. 1954 endete ein Restitutionsverfahren, das die „Amerikanische Jüdische Zentralorganisation" angestrengt hatte: Das Viktoriastift musste 50000 Mark für die Ruine bezahlen. Weitere 30000 Mark kostete dann die von der Polizei angeordnete Enttrümmerung des Grundstücks 1957.
Außer dem ehemaligen Jüdischen Kinderheim, das als „Neues Parkhaus" vom Viktoriastift geführt wurde, nahm die deutsche Wehrmacht von Beginn des Zweiten Weltkriegs an auch das Cecilienhaus selbst und die „Station XII" als Reservelazarett in Beschlag. Chefarzt und Verwaltungsdirektor traten als Wehrmachtsangehörige in den Dienst dieses Lazaretts. Der Kinderkurbetrieb konnte dadurch während des Krieges nur in beschränktem Umfang weitergeführt werden: Die Kinder waren im benachbarten „Kinderheim Rheinstahl" untergebracht, das der Rheinstahl AG gehörte.
Das Kinderheim Finkenbach wurde im Krieg zur Unterbringung alter evakuierter Frauen verpachtet. Die Hoffnung, dass das Hofgut Finkenbach in Kriegs- und Nachkriegs-Notzeiten das Viktoriastift in Bad Kreuznach mitversorgen könnte, erfüllte sich nicht. „Die bayrisch-pfälzische Polizei ließ dies nicht zu", heißt es in den Aufzeichnungen. Die letzte Niederschrift einer Vorstandssitzung während des Krieges trägt das Datum vom 12.3.44.
Im letzten Kriegsjahr wurde das Viktoriastift besonders schwer betroffen. Die "Station XII" wurde durch Bomben zerstört. Im "Neuen Parkhaus" kamen sechs Personen bei Bombenexplosionen ums Leben. Vor das Cecilienhaus und in die Gärtnerei fielen zahlreiche Bomben und töteten mehrere Wehrmachtsangehörige. Durch die Sprengung der Salinenbrücke wurden Fenster und Türen des Cecilienhauses erheblich beschädigt.
Die einrückenden Amerikaner besetzten Mitte März 1945 das Cecilienhaus und übergaben es wenig später den in ihre "Zone" einziehenden französischen Besatzungstruppen.
Ein Trümmerhaufen
Als Vorstand und Aufsichtsrat fünf Wochen nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen erstmals am 23. April zusammentraten, standen die Mitglieder Damm, Otto und Dr. Eckel vor einem Trümmerhaufen. Dr. Eckel: "Die Gebäulichkeiten des Cecilienhauses leer und verwahrlost. Die Gartenanlagen von Bombentrichtern übersät."
Der neugebildete Vorstand trennte sich von Verwaltungsdirektor Müller und beauftragte Dr. Simsa, Dr. Eckel und Studienrat Otto mit dem Neuaufbau der Verwaltung des Viktoriastifts. Als Verwaltungsinspektor wurde Kaufmann Hilbert eingestellt. Seine französischen Sprachkenntnisse waren dem Stift nach dessen Beschlagnahme durch die Franzosen in Verhandlungen mit Besatzungsoffizieren sehr von Nutzen. Auch die Verwaltung des Hofguts Finkenbach und des in Winzenheim - noch bis 1948 - angepachteten Guts Zweifel wurde neuen Männern übertragen.
Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 10. Januar 1946 wurde der Vorstand um Superintendent Menzel, Dr. Karl Hessel sowie die Fabrikanten Schmidt (Odernheim) und Ewald (Sobernheim) erweitert. Vorsitzender wurde Dr. Eckel. Das von den Franzosen zunächst als Kaserne benutzte Cecilienhaus diente ab Februar 1946 als Schule für Kinder der Besatzungsfamilien. Ende 1946 wurde das "Kinderheim Rheinstahl" für das Viktoriastift beschlagnahmt und mit 80 Kindern belegt. Allmählich fand sich auch das frühere Pflegepersonal wieder ein. Langsam lief der Kurbetrieb wieder an.
Der Verlust des "Parkhauses" im Jahre 1938 war um so schmerzlicher, weil das alte Viktoriahaus an der Salinenstraße, das sich nach Aufhebung der Beschlagnahme im Jahre 1930 in einem derart verwahrlosten Zustand befunden hatte, dass seine Wiederherstellung 400000 Mark erfordert hätte, 1935 abgerissen worden war. Die Grundstücksfläche war in Bauplätze aufgeteilt worden. Immerhin konnte mit dem aus dem Abbruch gewonnenen Baumaterial und mit der Entschädigung für die im Gebäude entstandenen Besatzungsschäden 1936 auf der Cecilienhöhe die "Station XII" gebaut werden (Wie sie zu diesem Namen kam, lässt sich nicht mehr feststellen). Auch die "Station XII" wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben völlig zerstört. 1954 wurde sie „schöner und größer als zuvor" wieder aufgebaut. Nach der Aufstockung 1976 bietet sie 24 Kindern Unterkunft und enthält den großen Festsaal, zwei großzügig angelegte Gymnastiksäle und Wohnraum für Mitarbeiter.
Das Hofgut Finkenbach
Noch eine Neuerwerbung fällt in das erste halbe Jahrhundert des Viktoriastifts:
das Hofgut Finkenbach. Die Verantwortlichen waren immer bemüht, den Kindern schon früh im Jahr frisches Obst und Gemüse auf den Tisch zu bringen. Deshalb wurde im Ersten Weltkrieg und in den folgenden Notjahren auf den drei Anstaltsgrundstücken (altes Viktoriastift, Cecilienhaus, Parkhaus) Landwirtschaft, Obst- und Gartenbau betrieben. Als aber die Zahl der Pfleglinge und der Angestellten auf über 450 Köpfe stieg, der Kuhstall zu klein wurde und die Nachbarschaft über Schweine- und Gänsestall-Geruch klagte, erwarb das Viktoriastift 1926 im 25 km entfernten Finkenbach ein Hofgut mit 100 Morgen Feld, wo auch Kinder zur Nachkur untergebracht werden konnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Hofgut nicht mehr rentabel zu bewirtschaften. Ein zeitweise im Herrenhaus eingerichtetes Heim für geistig behinderte Frauen konnte nicht gehalten werden, weil es unmöglich wurde, für diese schwere und verantwortungsvolle Arbeit in der Abgeschiedenheit von Finkenbach genügend Kräfte zu verpflichten. So wurde das Hofgut 1972 veräußert.
1949 gab die Besatzungsmacht den 2. und 3. Stock des Cecilienhauses frei. Lediglich im 1. Stock blieben die Räume für ihre Schule beschlagnahmt. Immerhin konnte nun das Cecilienhaus wieder mit Patienten belegt werden, und so wurde das "Kinderheim Rheinstahl" seinen Besitzern zurückgegeben. Anfang Mai 1949 - im ersten Jahr nach der Währungsreform - erhielt das Viktoriastift von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz in Düsseldorf die erste Zusage für die Dauerbelegung von 50 Betten. Bis Jahresende war das Cecilienhaus ständig mit 220 Kindern „zufriedenstellend belegt".
Am 15. August 1950 trat Walter Hille als Rendant die Nachfolge von Verwaltungsinspektor Hilbert an; 1957 wurde er zum Verwaltungsdirektor ernannt. Zur besseren Ausgestaltung des Cecilienhauses wurde 1951 ein zinsloses Wiederaufbaudarlehen des Soforthilfeamts aufgenommen. In der Monau musste das Viktoriastift 1951 eine 25000 qm große landwirtschaftlich genutzte Fläche, die 1926 als Erweiterungsgelände erworben worden war, zum Preis von zwei Mark je qm an die Bundesfinanzverwaltung für die Erweiterung des benachbarten Militärlazaretts abgeben. Diese 50000 Mark waren der Grundstock für den Wiederaufbau der »Station XII", mit dem der Architekt Karl Förster 1953 beauftragt wurde. 1955 war das Gebäude fertiggestellt. Das mit zehnfacher Sicherung auf starken Eisenpfeilern stehende Gebäude kostete 404000 Mark, die aus eigenen Mitteln aufgebracht wurden. Am 1. Juli 1955 konnte die ,,Station XII" bezogen und mit 32 Kindern belegt werden. Auch die Gärtnerei wurde wieder aufgebaut und lieferte schon frühzeitig im Jahr frisches Gemüse und Obst für die Patienten. Heute beträgt der Anteil der Erzeugnisse aus der eigenen Gärtnerei 12 Prozent des Lebensmittelbedarfs, darunter der Kartoffelbedarf fürs ganze Jahr.
Schwester Anna Vetter, die viele Jahre die Küche geleitet hatte, trat 1952 die Nachfolge der scheidenden Leitenden Diakonisse Elisabeth Wenske an. Damit war nur noch eine Diakonisse im Viktoriastift tätig. Am 1. April 1953 wurde das Viktoriastift endgültig freigegeben. Seit 1951 hatten die Amerikaner - nach Ablösung der Franzosen - das erste Stockwerk als Schule genutzt. Nun benötigten sie diese Räume nicht mehr, weil sie eine eigene Elementarschule gebaut hatten.
Am 30. Dezember 1954 erkannte das Finanzamt das Viktoriastift als gemeinnützig an. Am 21. Juni 1957 wurde der jetzige Vorstandsvorsitzende Rechtsanwalt Wetzmüller an Stelle des verstorbenen Fabrikanten Schmidt in den Vorstand gewählt. Der Aufsichtsrat bildete sich am 26. September 1958 neu. Durch Satzungsänderung wurde die Zahl seiner Mitglieder auf elf beschränkt. In der Aufsichtsratssitzung vom 12. Dezember 1958 wurden Kreisbaurat i. R. Damm und Landesrat i. R. Reinbach zu Ehrenmitgliedern und Notar Dr. Weirich zum Mitglied gewählt.
Erstmals am 17. April 1959 wurde im Aufsichtsrat vom Bau eines Schwesternwohnheims und von der Modernisierung des Cecilienhauses gesprochen. Dr. Hans Gött, Oberarzt der Universitätskinderklinik in Bonn, trat am 1. Mai 1960 als Chefarzt die Nachfolge von Sanitätsrat Dr. Simsa an, der im Jahre seines silbernen Dienstjubiläums in den Ruhestand ging. Bei der Verabschiedung hob Dr. Eckel die kluge Führung und weitblickende Initiative Dr. Simsas hervor und dankte für stete Einsatzbereitschaft im Dienst an den anvertrauten Kindern. Am 1. Oktober 1960 trat Oberschwester Inge Kürth von der Schwesternschaft Rheingrafenstein des DRK in das Viktoriastift ein. Auf dem Grundstück des ehemaligen "Jüdischen Kinderheims" wurde nach den Plänen von Architekt Karl Förster und mit Zuschüssen von Stadt, Kreis und Arbeitsamt sowie mit dem Erlös aus dem ,"Parkhaus"-Verkauf ein Schwesternwohnheim errichtet und 1962 bezogen. In diesem in schönster Lage Bad Kreuznachs befindlichen Heim sind 48 Mitarbeiterinnen untergebracht. Bereits Anfang August 1961 war das benachbarte Angestellten-Wohnheim fertiggestellt und bezogen worden.
"Aufgeschlossen und wohlwollend" zeigte sich laut Protokoll Ministerialrat Dr. Schmilz vom rheinland-pfälzischen Innenministerium, der für das Krankenhauswesen maßgebliche Medizinalbeamte, gegenüber einer baulichen Sanierung des Cecilienhauses, die Chefarzt Dr. Gött seit seinem Amtsantritt nicht müde wurde zu fordern. Die von Dr. Schmitz eröffnete Aussicht auf Förderungsmittel des Landes ging später auch in Erfüllung.
1963 wurde Architekt Möller aus Wiesbaden mit der Aufstellung eines Vorentwurfs für den Neubau oder Umbau des Cecilienhauses beauftragt. Nach seinem Plan kostete der Umbau 3,6 Millionen Mark. Da während des Umbaus im Cecilienhaus keine Kinder untergebracht werden konnten, was zu erheblichen Einnahmeverlusten führen musste, und da außerdem die beim Umbau angestrebte Neueinteilung die Kapazität des Hauses verminderte, wurde 1963 das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene "Haus Rheinstahl" von der Rheinstahl AG erworben. Von Cecilienhöhe 3 zum Haus Rheinstahl, Cecilienhöhe 1, wurde eine Brücke geschlagen.
Hauptsorge war nach wie vor die Finanzierung des Umbaus. Das letzte Grundstück des alten Viktoriahauses (Salinenstraße 91) und Weinbergsland in der Monau wurden für den Umbau verkauft. Als am 14. September 1965 Frau Bundesgesundheitsminister Dr. Schwarzhaupt das Viktoriastift besuchte, wurden ihr die Neubau- und Umbaupläne für das Cecilienhaus vorgelegt. Sie sagte zu, die Möglichkeit einer Förderung als Modellfall zu prüfen.
1966 wurden fünf koreanische Schwestern angeworben. In Erfüllung ihres dreijährigen Vertrags waren sie bis zum 31. Dezember 1969 im Viktoriastift tätig.
"In Würdigung seiner jahrzehntelangen unermüdlichen Arbeit für das Viktoriastift" wurde Dr. Eckel, der am 27. April 1966 den 1945/46 übernommenen Vorsitz von Vorstand und Aufsichtsrat niederlegte, zum stimmberechtigten Ehrenvorsitzenden ernannt. Nachfolger als Vorsitzender wurden Rechtsanwalt Wetzmüller im Vorstand (zugleich im Verwaltungsrat) und Pfarrer Nell im Aufsichtsrat. Den Bemühungen um die Finanzierung des Umbaus des Cecilienhauses sei noch immer kein Erfolg beschieden, wurde in dieser Aufsichtsratssitzung festgestellt. Der Architekt bezifferte die inzwischen eingetretene Kostensteigerung auf zehn Prozent.
Am 19. Juni 1969 wurde die bisherige Kinderheilanstalt - weil die Bezeichnung als unzeitgemäß und irreführend zu Beanstandungen geführt hatte - umbenannt in „Viktoriastift Kinderkurklinik in Bad Kreuznach".
Immer dringlicher wurde der Umbau des Cecilienhauses. Der 1916 in Dienst gestellte Klinikbau genügte zu seiner Zeit zwar voll allen zu stellenden Ansprüchen. Doch nach über 50 Jahren entsprach er bei weitem nicht mehr den jetzt zu stellenden Anforderungen. Die Kinder waren in großen Sälen untergebracht. Die hygienischen Einrichtungen waren veraltet. Der größtmögliche Erfolg der Kuren war in Frage gestellt. Mit Recht wiesen die Entsendestellen darauf hin, dass sie keine Kinder mehr ins Viktoriastift überweisen könnten, wenn diese Mängel nicht beseitigt würden.
Auch die verantwortlichen Gremien des Viktoriastifts waren sich über die Notwendigkeit einer baldigen Änderung einig. Dass die Belegung nicht schon längst rückläufig war, konnte die Kinderkurklinik nur dem guten ärztlichen Ruf danken. So war die Sanierung des Viktoriastifts zu einer Existenzfrage geworden. Wegen des solide und gut erhaltenen Baukörpers hatte man sich für den Umbau entschieden, zumal die vorgelegten Pläne ergaben, dass auch ein Neubau - nach Abbruch des Altbaus - nicht zweckmäßiger und schöner errichtet werden könnte, aber das Dreifache kostete.
In seinen "Vorschlägen zur baulichen Sanierung des Cecilienhauses" vom Juli 1962 nannte Chefarzt Dr. Gött folgende Verbesserungen gegenüber dem seinerzeitigen Betrieb des Cecilienhauses "wegweisend für jeden Sanierungsplan":
1. Beschränkung der Infektionsmöglichkeit sowohl innerhalb der Station als auch von Wohngemeinschaft zu Wohngemeinschaft.
2. Altersentsprechendes ,"Wohnmaß", damit sich die Kinder so wenig wie möglich gegenseitig stören, ohne sich isoliert fühlen zu müssen.
3. Gute, unaufdringliche Beaufsichtigung am Tag und in der Nacht.
4. Ausreichende Belüftung und Verdunkelung der Schlafräume, Sonnenschutz der Aufenthaltsräume.
5. Wasch- und Klosetträume innerhalb der Wohn-Einheiten.
6. Mehr Bewegungsraum (Sandkästen, Spielflächen, Tischtennis) für die ungünstige Witterung. Dazu Dr. Gott im einzelnen: ,,Unsere durchweg untrainierten, eingepferchten und wenig abgehärteten Stadtkinder bedürfen ganz besonders während der Herbst-, Winter- und Frühjahrskuren eines von der Witterung unabhängigen Spielgeländes, das vornehmlich den Kleinstkindern auch bei Regenwetter den heilsamen ,Auslauf' vermittelt. Hierfür bietet sich der derzeitige große Speisesaal geradezu an. In dem nach drei Seiten freistehenden, fensterreichen Raum von 234 Quadratmeter und 4,70 m Höhe könnte z. B. ein beheizbarer Fußboden eingerichtet werden, so dass die Kinder sommerlich bekleidet im Sandkasten spielen dürften. Durch Anwendung von Höhensonnen und Solezerstäuber würde so ein idealer Klima- und Bewegungsraum geschaffen werden."
7. "Entflechtung" von Küche und Waschküche; Küche und Diätküche sowie evtl. Milchküche in einem Anbau.
8. Erleichterung der vertikalen Beförderung von Patienten, Speisewagen, Betten und Koffern durch Aufzüge.
9. Vermeidung von Unfällen.
Die Konzeption des Umbaus
Auf dieser Expertise von Chefarzt Dr. Gött basierte die Planung von Architekt Dipl.-Ing. Hans-Georg Möller (Wiesbaden), der in einer idealen Kooperation den Wünschen und Vorstellungen des Arztes erst die wirklich brauchbare Gestalt gab und dafür sorgte, dass aus den Plänen eine funktionierende Einrichtung wurde, mit der den anvertrauten Kindern geholfen werden kann. Dies war die Konzeption des Umbauprojekts:
Chefarzttrakt und Verwaltungstrakt, zehn Wohneinheiten, Akutkrankenstation, Behandlungsstation und Diagnostische Abteilung, Klima- und Bewegungssäle, Hallen-Sole-Wellenbad, Sole-Bäder, Personal-Bereiche, Küchen- und Waschküchenanlage, Heizungs- und Müllverbrennungsanlage, unkonventionelle Kinderspielplätze in Haus und Park.
Jede Wohneinheit besteht aus einem Wohn-Essraum, vier Schlafräumen und einem umfangreichen Bad.
Jeder Schlafraum nimmt sechs Betten auf und hat seine getrennt-entlüftete Wasch-, WC-, Schrank-Zelle. Zu jedem Bett gehört ein zusätzlicher entlüfteter Einbauschrank im Flur für nasse Kleider, Schuhe und Koffer.
Jeder Wohn-Essraum hat eine kleine Anrichte und wird von der zentralen Küche über den Aufzug durch Thermoswagen mit Speisen und Geschirr versorgt. Nach jeder Mahlzeit wird der Thermoswagen zur Spülküche abgeholt. Zu je zwei Wohneinheiten gehört ein Einzelzimmer als „Stilles Zimmer". Jede Wohneinheit kann von jedem Raum durch verglaste, abschirmbare Wandteile überblickt werden.
Zu jeder Wohneinheit gehört eine Be- und Entlüftungsanlage (ruhiger Schlaf bei geschlossenen und abgedunkelten Fenstern). Der Luftwechsel kann gesteuert werden; dadurch zugfreie, von der Witterung unabhängige Frischlüftung. Die Belüftung wird temporär geregelt.
Fazit: Dem Alter entsprechendes "Wohnmaß".
Damit wurde bei dem Umbau allen, auch nach kritischer Betrachtung zu stellenden Anforderungen Rechnung getragen. Der Baukommission, die den Umbau des Cecilienhauses betreute, gehörten an: Pfr. Nell, Dr. Seifert, Rechtsanwalt Wetzmüller, Dr. Weirich, E. Schmidt, Dr. Gott, W. Hille, H. Dirks, Oberschwester Inge Kürth, Architekt Möller. Ihnen ist es zu danken, dass "eine den medizinischen, pädagogischen und ministeriellen Forderungen entsprechende Anlage mit einer Entwicklungsreserve im Sinne der vorbeugenden Medizin" (Möller) entstand.
Cecilienhaus 1. Obergeschoss. Im 2. und 3. Obergeschoss befinden sich jeweils weitere Wohneinheiten anstelle von Klima- und Bewegungssaal sowie diagnostischer Abteilung.
Sieben Millionen Mark für das Cecilienhaus
Mit einem Kostenaufwand von sieben Millionen Mark wurde das Cecilienhaus zur modernsten Kinderkurklinik der Bundesrepublik mit einer Aufnahmefähigkeit von 300 Kindern. Die Umbaukosten wurden finanziert durch Stadt-, Kreis- und Landeszuschüsse, Spenden, Bundes- und Bankdarlehen sowie durch einen Zuschuss der "Aktion Sorgenkind" (200000 Mark), mit dem ein Schwimm- und Wellenbad eingebaut wurde, das je nach Bedarf abwechselnd mit Süßwasser oder Sole gefüllt werden kann. Innerhalb Jahresfrist wurde der Umbau des fast 60 Jahre alten Hauptgebäudes unter Einhaltung des Kostenvoranschlags termingerecht beendet. Der vorhandene "gesunde" Baukörper war unter Beibehaltung der gewohnten Fassade so weitgehend im Innern und in der Außenanlage umgeformt, dass aus einer veralteten unübersichtlichen Anstalt eine moderne Klinik für das chronischkranke und behinderte Kind geworden war.
Am 28. März 1972 wurden 202 Kurkinder in das modern gestaltete Cecilienhaus zu einem mindestens sechswöchigen Heilverfahren aufgenommen. Am 9. Juni 1972 wurde mit einer großangelegten Festveranstaltung der Schlusspunkt hinter den Umbau gesetzt. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats wies Pfarrer Nell darauf hin, dass der Umbau ohne den großen Kredit, den viele Institutionen gewährt hätten, nicht zu realisieren gewesen wäre. Trotz der Schwere der Zeit und der schwierigen Situation hätten die Verantwortlichen des Viktoriastifts "das Beste herausgeholt", betonte Staatssekretär Dr. Schmitz vom Sozialministerium. Bürgermeister Josef Schmidt unterstrich, dass die städtischen Gremien trotz der angespannten Finanzlage der Stadt ein einstimmiges Ja zur Bezuschussung des Umbau-Projekts gesagt hätten als Dank an das Viktoriastift, das - auch durch den guten Ruf seiner Ärzte - seinen eigenen Beitrag zum Leben der Kur- und Badestadt leiste. Dem Dank an die Mitarbeiter ließ Chefarzt Dr. Gött die Anerkennung für Architekt Möller folgen: "Etwas gutes Altes ist etwas besseres Neues geworden".
War in den Jahren vor dem Umbau in der Öffentlichkeit viel vom Viktoriastift die Rede - die Zeitungsüberschriften wechselten von "Neubaupläne begraben" bis "Grünes Licht für Viktoriastift" -, so war in den letzten sechs Jahren vor dem "Hundertjährigen" nur dann noch von der Kinderkurklinik zu lesen, wenn sich Besuch angemeldet hatte oder wenn es um die Vorbereitung für das Jubiläum ging.
Verwaltungsdirektor Walter Hille empfing bei seinem Eintritt in den Ruhestand 1971 Lob und Anerkennung dafür, dass er "in vorbildlicher Bescheidenheit mit Einsatz und Sachkenntnis" beim Wiederaufbau der Kurklinik, beim Bau des Schwesternwohnheims und bei der Planung für den Umbau des Cecilienhauses Mitverantwortung getragen habe. Ihm folgte Verwaltungsdirektor Dirks, in dessen Amtszeit der Umbau vollendet wurde und nun das 100jährige Bestehen fällt.
Die Kreuznacher Kinder-Heilanstalt. Ein Wort der Erklärung und Bitte. Voigtländer, Bad Kreuznach 1877
Kreuznacher Tageblatt, 1878
Jahresberichte der Kreuznacher Kinderheilanstalt Viktoria-Stift, 1878-1902, 1904, 1906, 1916
Kirschstein, R.: Aus der Chronik der Kreuznacher Kinderheilanstalten Victoriastift in Bad Kreuznach. Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Kinderheilanstalten "Victoriastift" in Bad Kreuznach, Verlag F. Harrach, Bad Kreuznach 1928
Best, Hans, Architekt: Die Kreuznacher Kinderheilanstalten des Victoriastifts im Radium-Solbad Kreuznach. Sonderdruck, Hohenlychen.
Protokolle bzw. Auszüge aus Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen von 1928 bis 1969
Bericht über die Tätigkeit des Vorstands der Kinderheilanstalten Viktoriastift Bad Kreuznach 1938-1958, verfasst und vorgelegt in der ordentlichen Aufsichtsratssitzung des Stifts am 26. September 1958 von Dr. Alfred Eckel, Vorsitzender des Vorstands
Gött, Hans: 150 Jahre Kinderkuren in Bad Kreuznach, Rückblick und Ausblick. Sonderdruck aus: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach, Druckhaus Harrach, 1967, sowie: Vorschläge zur baulichen Sanierung des Cecilienhauses. Juli 1962
Öffentlicher Anzeiger, Jahrgänge 1879-1978, Bad Kreuznach
Allgemeine Zeitung, 1973, 1978
Prospekte des Viktoriastifts mit Planerläuterungen von Architekt Dipl.-Ing. Hans-Georg Möller, Wiesbaden
Aufzeichnungen des Vorstands- und Verwaltungsratsvorsitzenden Rechtsanwalt Wetzmüller
Auszüge aus der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Klinik
Die Hektik unseres beruflichen und privaten Alltags bringt es zwangsläufigmit sich, dass Stunden der Besinnung und der geistigen Rückschau immerseltener werden. Die "Explosion des Wissens" auf dem Gebietder Naturwissenschaften und die mit ihr verbundene, nicht mehr zu übersehendeund vom einzelnen nicht mehr zu beherrschende Informationsflut haben unsin mancherlei Hinsicht in unserer geistigen Beweglichkeit und Aufnahmefähigkeit paralysiert. So sind wir vor allem blind auch dafür geworden, dass alles, was wir im geistigen und materiellen Bereich besitzen, eine Geschichte hat, Produkt einer Entwicklung ist, die häufig schon lang vor unserem eigenen Leben und daher auch ohne unser Zutun und Verdienstihren Anfang genommen hat.
Das hundertjährige Jubiläum einer für unser Heilbad so bedeutenden Einrichtung wie die des Viktoriastiftes sollte aber in jedem Fall Anlass sein, in unserer Betriebsamkeit einzuhalten und, wenn auch nur für den Zeitraum einer kurzen Stunde, einen Blick zurück zu tun.
Die Fülle des Stoffes über die Geschichte unseres Bades und über das Leben bedeutender Ärzte und Forscher in dieser Stadt würde bei weitem den Rahmen sprengen, den ich mir für diesen Beitrag zur Festschrift gesteckt habe. Zwei Persönlichkeiten aber, ohne die Bad Kreuznach nicht zu dem geworden wäre, was es einstmals war und nach unserem Bestreben auch wieder werden und bleiben soll, müssen in einer solchen Festschrift genannt werden und vor dem Hintergrund ihrer Zeit in ihren geistigen Umrissen skizziert werden: Erhard Prieger und Karl Aschoff.
Fortdauernde Werke der Geistesgeschichte, wissenschaftliche Leistungen von grundlegender Bedeutung, aber auch erfolgreich wirkende Institutionen auf sozialem Gebiet sind ohne die richtungweisende und formprägende Kraft bedeutender Persönlichkeiten nicht denkbar. Will man die Geschichte nicht verfälschen, darf man diese Gestalten nicht in der Anonymität versinken lassen und den Anschein erwecken, als sei die beschriebene Entwicklung auch ohne diese Männer möglich gewesen. Wir schulden ihnen Dankbarkeit. Auch eine Einrichtung wie das Viktoriastift wäre ohne das Wirken dieser beiden großen Persönlichkeiten in Bad Kreuznach nicht denkbar gewesen.
Versetzen wir uns zurück in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Die politischen Wirren und kriegerischen Auseinandersetzungen im Gefolge der großen französischen Revolution von 1789 sind mit dem endgültigen Sieg über Napoleon l. im Jahre 1815 zumindest nach außen hin zunächst einmal zur Ruhe gekommen. In Weimar schreibt Goethe an seinen Lebenserinnerungen. In Berlin wirken Hufeland und Heim als angesehene Ärzte. Wilhelm von Humboldt gibt der deutschen Universität ihr charakteristisches Gepräge. In Gießen arbeitet Liebig an den Grundlagen zu einer atemberaubenden Entwicklung der Chemie. In jener Zeit, deren medikamentöse und operative Behandlung von Krankheiten keinen Vergleich zu den therapeutischen Möglichkeiten unserer Zeit zulässt, spielte die Bäderheilkunde, immer auch verbunden mit einer diätetischen Behandlung und Beratung des Kranken, eine ungleich größere Rolle in der Medizin als heute. Aber auch die Vorstellungen über die Entstehung von Erkrankungen waren von den unseren zum Teil grundverschieden. Die Störung der "Mischung der Säfte" des Körpers (Humormalpathologie) war noch vorherrschende Meinung in der ärztlichen Anschauung von den Ursachen der Krankheiten. Die Beeinflussung dieser Säfte und ihres Zusammenspiels untereinander war das Ziel der therapeutischen Bemühungen. Und hier boten sich die Anwendung von Bädern und die gleichzeitige Reglementierung der Ernährung und des Tagesablaufs geradezu an, die "Säfte des Körpers" in Zusammensetzung und Wirkung zu normalisieren.
Andererseits waren die Anschauungen der damaligen Ärzte aber auch schon in gewissem Umfang naturwissenschaftlich im modernen Sinne geprägt. Man war sich der Tatsache durchaus bewusst, dass der chemischen Zusammensetzung der Quellen die entscheidende Bedeutung für ihre therapeutischen Wirkungen zukommt. So stellte Prieger in seiner im Jahre 1827 herausgegebenen Schrift "Kreuznach und seine Heilquellen" ausführlich die chemischen Analysen der Kreuznacher Quellen dar und führte ihre Wirkung unter anderem auch auf den Gehalt an Calciumchlorid und Jod zurück.
Als Johann Erhard Peter Prieger (1792-1863) im Jahre 1817, kurz nachdem Kreuznach als Folge der Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815 an das Königreich Preußen gefallen war, als junger Arzt in diese Stadt kam, drängte sich ihm, der aus der traditionsreichen Badestadt Wiesbaden stammte, der Gedanke geradezu auf, die in Kreuznach zur Salzgewinnung genutzten Solequellen, aber auch die bei der Salzgewinnung anfallende "Mutterlauge" zu therapeutischen Zwecken zu verwenden.
Dass sich unter Priegers ersten Badepatienten zahlreiche "skrophulöse" Kinder befanden, lag einmal wohl darin begründet, dass dieses Krankheitsbild damals weit verbreitet war. Wir würden heute sagen, dass es sich bei diesem Krankheitsbild, das die moderne Medizin nicht mehr kennt, um eine komplexe Symptomatik bei Kindern gehandelt hat, die dadurch charakterisiert war, dass diese Kinder in ihrer Abwehr und damit auch in ihrer Entwicklung gestört waren. Auch dürfte sich unter ihnen eine nicht unbeträchtliche Zahl von Tuberkulosekranken befunden haben. Durch die Badebehandlung mit Sole und Mutterlauge wurden die Abwehrkräfte dieser Kinder angeregt, der Allgemeinzustand besserte sich und die "skrophulösen" Erscheinungen bildeten sich bei einem großen Teil der Behandelten zurück oder aber besserten sich zumindest.
Der andere Grund dafür, dass gerade bei Kindern die Kreuznacher Kur zu so guten Erfolgen führte, lag einfach darin, dass der kindliche Organismus grundsätzlich rascher als der Erwachsene positiv oder negativ auf eine Therapie reagiert. Heilerfolge sind daher bei Kindern in kürzerer Zeit zu objektivieren und einer interessierten Fachwelt zu demonstrieren.
Trotz dieser überzeugenden Erfolge in der Kinderheilkunde war Kreuznach auch zur Zeit Priegers kein "Kinderbad". Im Gegenteil: Es gibt wohl, mit Ausnahme der Herzerkrankungen, kaum eine Krankheit, die hier nicht behandelt wurde.
Prieger selbst nennt in seiner oben bereits zitierten Schrift aus dem Jahre 1827 folgende Indikationen für eine Kur in Kreuznach:
Skrophulöse Drüsengeschwülste und Augenentzündungen; Englische Krankheit (Rachitis); Leberauftreibungen und Verhärtungen; skrophulöse Knochenauftreibungen und Geschwüre an den Gelenken; Kopfgrind; Flechten; Leiden der Harnwerkzeuge, besonders in Folge von früheren syphilitischen Ursachen; Hysterie und Hypochondrie; Fehler der Menstruation; Fluor albus; chronische Gicht und Rheumatismus; Verschleimungen des Magens und Darmkanals; krankhafte Ablagerungen; chronische Leiden der Atmungswerkzeuge.
Ebenso wie bei den behandelten Kindern dürften die von Prieger beschriebenen Erfolge in der Behandlung der oben aufgeführten Krankheiten der Erwachsenen in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass durch die Bäderbehandlung im Verein mit einer Regelung der Ernährung und der Lebensgewohnheiten über eine hierdurch bewirkte Besserung des Allgemeinzustands die Krankheitssymptomatik günstig beeinflusst wurde. Die von Prieger beschriebene Heilung von hoffnungslosen Fällen, die an Wunderheilungen erinnern, sind als, auch heute immer einmal wieder beobachtete, Spontanheilungen schwerer Erkrankungen anzusehen oder fallen sicher zu einem nicht geringen Teil in den hysterischen Formenkreis der Psychopathologie.
Mag man heute auch vielleicht geneigt sein, viele der therapeutischen Bemühungen Priegers mit einem mitleidigen Lächeln als Versuche mit untauglichen Mitteln an untauglichen Objekten abzutun, so muss man doch das aufrichtige Bemühen dieses wirklichen Arztes anerkennen, mit den Kenntnissen und mit den Möglichkeiten seiner Zeit den Leidenden Hilfe zu bringen. Bewundernswert die Energie, mit der Prieger gegen Widerstände und Unverständnis auf dem von ihm für richtig angesehenen Weg fort schritt und noch zu seinen Lebzeiten das Ziel erreichte, das er sich als junger Arzt gesteckt hatte: Aus einem unbekannten Landstädtchen im äußersten Süden der preußischen Rheinprovinz war ein bekanntes und geschätztes Heilbad geworden.
Wenn ein Mann es verdient hat, dass ihm die Stadt Kreuznach ein Denkmal setzte, dann war es Johann Erhard Peter Prieger. Das von Carl Cauer geschaffene Denkmal wurde im Jahre 1867 in der Anlage vor der Paulus-Kirche, dessen Presbyterium Prieger angehört hatte, errichtet.
Im Jahre der Denkmalsenthüllung für Prieger wird Karl Aschoff geboren, die zweite Persönlichkeit, der Bad Kreuznach unendlich viel zu verdanken hat. Von Jugend auf mit dem Badeleben und später mit dessen wissenschaftlichen Grundlagen verbunden und vertraut, sollte es ihm gelingen, mit seinen Entdeckungen auf dem Gebiet der Balneologie Medizingeschichte zu machen.
Von Haus aus Apotheker, war Dr. Karl Aschoff weit über seinen beruflichen Arbeitskreis hinaus an naturwissenschaftlichen Fragen interessiert. Man darf wohl mit Recht sagen, dass er auf der Höhe des naturwissenschaftlichen Wissens seiner Zeit stand, denn das Phänomen der Radioaktivität, mit dem er hier in Kreuznach zu experimentieren begann, stellte neueste Erkenntnis auf dem Gebiet der Physik dar, und seine Anwendung auf dem Gebiet der Medizin war Pionierarbeit. Im Jahre 1896 hatte der französische Physiker Becquerel bei Versuchen mit Uranpechblende entdeckt, dass es Stoffe geben muss, die spontan Strahlung aussenden, also radioaktiv sind. Zwei Jahre später, im Jahre 1898, gelang es dem Ehepaar Curie, das radioaktive Element Radium aus der Uranpechblende zu isolieren. Und nur sechs Jahre später, im Jahre 1904, sucht und findet Karl Aschoff im Kreuznacher Quellsinter radioaktive Bestandteile.
Er selbst beschreibt sein damaliges Vorgehen so:
"Unsere Kreuznacher Solquellen ... enthalten eine verhältnismäßig reichliche Menge Baryumverbindungen ... Nun hat das Ehepaar Curie gezeigt, dass das Radium in seinen chemischen Eigenschaften dem Baryum äußerst ähnlich ist, ja, zu seiner Gewinnung hatte es aus der Uranpechblende zunächst die Baryumverbindungen und mit ihnen die Radiumspuren isoliert, um letztere dann durch einen langwierigen Kristallisationsprozess vom Baryum zu trennen. Es war also ein nicht aussichtsloser Versuch, aus unseren Quellen gleichfalls die Baryumverbindungen zu gewinnen, die dann etwa vorhandene Radiumspuren mit enthalten mussten. Als aussichtsreichster Weg schien mir der, hierbei vom Quellsinter auszugehen, jenem bräunlichen Schlamm, der sich während des Gradierprozesses auf den Dornen und in den Kästen unserer Gradierwerke in reichlicher Menge abscheidet.. . . Die Versuche waren keine mühelosen; es gelang aber schließlich doch, aus einem Kilo des Quellsinters einige Gramm eines weißen, aus Bariumsulfat bestehenden Pulvers zu gewinnen. Nun galt es, diesen Baryt auf Radioaktivität zu prüfen. Kleine photographische Platten wurden in der Dunkelkammer in mehrfaches schwarzes Papier gehüllt, etwas Quellbaryt auf diese Umhüllung gestreut und nach 24stündiger Einwirkung zur Entwicklung der Platten geschritten. Tatsächlich zeigten diese an den Stellen, an denen sich der Baryt befunden hatte, starke Schwärzungen, während Kontrollversuche mit reinem Bariumsulfat vollkommen negativ ausfielen. Auf diese Weise war es mir bereits im Juli 1904 gelungen, festzustellen, dass der Sinter der Kreuznacher Solquellen starke radioaktive Beimengungen enthält."
So weit die Beschreibung der Entdeckung der Radioaktivität der Kreuznacher Quellen aus der Feder des Entdeckers. Zum ersten Mal in der Medizingeschichte war die Radioaktivität einer Heilquelle beschrieben worden. Den Ehrentitel "Ältestes Radon-Solbad der Welt" verdankt Bad Kreuznach seinem großen Sohn Karl Aschoff.
Es würde hier zu weit führen, die sich an diese Entdeckung in den folgenden Jahren anschließende Entwicklung der radioaktiven Bade- und Trinkkur in allen Einzelheiten zu beschreiben. Nicht unerwähnt bleiben darf aber der Elan, mit dem damals alle Beteiligten, an ihrer Spitze der immer bescheidene Karl Aschoff, an die Verwirklichung des einmal als richtig Erkannten herangingen. Ärzte, Techniker und Verwaltungsbeamte wetteiferten in ihren Anstrengungen für das Bad. Seit 1909 gab der Kreuznacher Ärzteverein die "Radiologischen Mitteilungen" heraus, in denen über Forschungs- und Behandlungsergebnisse berichtet wurde. Die damals entwickelte Methode der Anwendung radioaktiver Quellen wurde als das "Bad Kreuznacher Verfahren" zu einem festen Begriff in der Bäderheilkunde.
Aber wieder zurück zu Karl Aschoff. Man hatte in der Zwischenzeit erkannt, dass Radioaktivität gleichbedeutend war mit spontanem Zerfall eines Elements, wobei ein neues Element entstand, das nun seinerseits ebenfalls wieder unter den Zeichen der Radioaktivität zerfiel. Man entdeckte weiter, dass diese Zerfallsreihe mit dem nicht mehr radioaktiven Blei endete. Das Element, das in der Zerfallsreihe gleich hinter dem Radium kam, war gasförmig. Man nannte es Radium-Emanation, später Radon. Dieses radioaktive Edelgas weckte bald nach seiner Entdeckung das besondere Interesse der Balneologen.
Lesen wir, was Aschoff über seine Radon-Forschungen hier in Bad Kreuznach schreibt:
"Meine hier seit 1904 ausgeführten Untersuchungen hatten die Annahme nahegelegt, dass der Porphyr selbst der ursprüngliche Träger der radioaktiven Stoffe sei, welche unsere Solquellen aus dem Erdinnern mitbringen. War dem so, so musste es möglich sein, im Porphyr radioaktive Substanzen und ebenso in Hohlräumen des Porphyrs Radiumemanation nachzuweisen. Im Jahre 1911 begann ich, Untersuchungen in dieser Richtung auszuführen. Die geeignetste Stelle hierfür schien mir ein alter Stollen zu sein, der sich weit in den Porphyrfelsen erstreckt und im Kreuznacher Kurpark ausmündet; er ist wahrscheinlich ursprünglich zur Quecksilbergewinnung angelegt worden."
Es folgen nun detaillierte Angaben über die durchgeführten Untersuchungen. Das Ergebnis dieser Untersuchungen fasst Aschoff wie folgt zusammen:
"Die Versuche haben ... ergeben, dass aus den Spalten der Stollen andauernd eine stark emanationshaltige Luft ausströmt. Dies überaus günstige Ergebnis veranlasste die Kreuznacher Solbäder-Aktiengesellschaft, eine Einrichtung zu schaffen, welche es ermöglicht, diese Emanation therapeutisch zu verwerten. Sie errichtete im Kurpark vor dem Stolleneingang ein Radiuminhalatorium, welches im Frühjahr 1912 eröffnet wurde."
Diese Einrichtung zur Radon-Inhalation war die erste ihrer Art in der Welt, und wir verdanken sie wiederum der Forscherarbeit Karl Aschoffs. Heute gibt es viele tausend solcher Radon-Inhalatorien in der ganzen Welt, vor allem in der Sowjetunion. Dass diese Art der Therapie ihren Ursprung in Bad Kreuznach hat, weiß kaum noch jemand.
Über die Behandlungserfolge in diesem ersten Kreuznacher Radon-Inhalatorium schreibt Aschoff 1917:
"Das Kreuznacher Radiuminhalatorium ist seit Mai 1912 im Betrieb, und alle Einrichtungen haben sich vorzüglich bewährt. Auch die erzielten Heilerfolge waren nach Angaben unserer Ärzte sehr gute, und das Inhalationsverfahren hat sich als eine vorzügliche Ergänzung der Radiumbade- und Trinkkuren erwiesen."
Dieses alte Inhalatorium bestand bis zum Ende des 2. Weltkrieges, wo es zerstört wurde. Im Jahre 1945 ist dann auch Karl Aschoff gestorben. Bis ins hohe Alter hat er unermüdlich weiter geforscht. Ungewöhnlich umfangreich und vielseitig ist das von ihm der Nachwelt hinterlassene wissenschaftliche Erbe. Aber auch die Erinnerung an den Menschen Karl Aschoff darf an dieser Stelle nicht fehlen. Nach den Aussagen seiner Freunde war sein Wesen geprägt von Güte, Toleranz, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Viele Jahre leitete und prägte er als Meister vom Stuhl die Bad Kreuznacher Freimaurerloge. Dem Viktoriastift war er als Mitglied des Vorstands verbunden.
An den Folgen der beiden Weltkriege hatte das Kurleben von Bad Kreuznach mehr und länger zu leiden als das anderer deutscher Heilbäder. Jahrelange Besatzungszeiten lahmten ein Wiederaufblühen der balneologischen Aktivitäten, Mangel an finanziellen Mitteln verhinderten die dringend erforderlichen Modernisierungen und Erweiterungen der Kureinrichtungen. Erst in den letzten Jahren ist auf dem Kursektor der Stadt ein entscheidender Wandel eingetreten. Es drängte sich dabei aber immer wieder die ketzerische Frage auf: Ist es sinnvoll, noch einmal mit der einstmals so berühmten Kur nach dem ,"Bad Kreuznacher Verfahren" zu beginnen. Allgemeiner gesprochen: Hat die Bäderheilkunde überhaupt noch einen Platz im therapeutischen Arsenal der modernen Medizin? Gehört sie nicht schon längst ins medizinhistorische Museum? Kann man einem Patienten angesichts der atemberaubenden Fortschritte in der pharmakologischen Forschung und in der operativen Medizin noch guten Gewissens zu einer Badekur raten?
Grundlage ärztlichen Forschens sind die exakten Naturwissenschaften, Prüfsteine ärztlichen Handelns aber sind die Heilung von Krankheiten und die Linderung von Schmerzen. Und weil das Wohl des Kranken oberstes Gesetz ärztlicher Tätigkeit ist und bleibt, muss der Arzt auch bereit sein, Wege zu gehen, deren exakte Topographie sich bislang der naturwissenschaftlichen Vermessung entzogen hat. Anders ausgedrückt: Wenn ein therapeutisches Verfahren erfolgreich ist, muss es akzeptiert werden, auch wenn es sich noch nicht vollständig mit unseren bisherigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erklären lässt. Zu dieser Art von therapeutischen Verfahren gehört zweifellos auch die Balneologie. Vieles lässt sich zwar heute auch hier schon wissenschaftlich fassen und erklären, manches aber muss einfach noch als empirisches Faktum hingenommen werden in der Hoffnung, dass zukünftige Forschung Licht in bislang dunkle Zusammenhänge bringen wird. Die Bäderheilkunde stellt auf keinen Fall eine Antithese zur modernen Pharmakotherapie dar. Sie ist vielmehr eine, zunächst weitgehend auf Empirie basierende Behandlungsart, die ihren Platz neben anderen Therapiemöglichkeiten in der modernen Medizin behalten wird. Und so gesehen war der Entschluss, die ortsgebundenen Kurmittel von Bad Kreuznach den leidenden und hilfesuchenden Menschen wieder voll zugänglich zu machen, völlig richtig und guten Gewissens vertretbar.
Tritt der Arzt an die verantwortungsvolle Aufgabe heran, einen Kranken zu behandeln, dann bieten sich ihm zwei Wege an: Er kann durch Medikament, Operation oder Bestrahlung eine Kunstheilung anstreben; er kann aber auch durch Stimulierung der Abwehrkräfte des Körpers eine Selbstheilung erreichen. Auf dem letztgenannten Prinzip basiert die Balneologie: Durch sinnvolle und kontrollierte Anwendung von Kurmitteln werden Reize gesetzt, die die Selbstheilungskräfte des Organismus stimulieren.
In den letzten Jahren hat man zu Recht den engeren Begriff Bäderheilkunde durch den umfassenderen Begriff Kurortmedizin ersetzt. Man will damit zum Ausdruck bringen, dass eine moderne Kur nicht mehr nur in der Anwendung von Bädern oder sonstigen ortsgebundenen Kurmitteln besteht.
Nach dem vom Deutschen Bäderverband formulierten ,"Grundsätzen für eine zeitgemäße Behandlung in den Heilbädern und Kurorten" umfasst die Kurortmedizin eine spezielle und eine allgemeine Therapie. Zu den speziellen Methoden der Therapie gehören die Bäderkuren, Trinkkuren, gezielte Klimatherapie (Sonnenbehandlung, Freiluftliegekuren) und die ergänzenden Verfahren der physikalischen Therapie (Krankengymnastik, Hydro- und Thermotherapie, Elektrotherapie, Licht- und Strahlenbehandlung, Inhalationstherapie, Massagen); außerdem die Therapie nach Kneipp, Priessnitz und Felke; schließlich die Diätbehandlung. Man könnte auch zusammenfassend sagen, dass es sich hierbei um die Seite der Therapie handelt, die mehr oder minder gezielt den Krankheitsprozess und seine organischen Folgen zu beeinflussen versucht.
Neben dieser speziellen Therapie steht gleichrangig die allgemeine Behandlung des Patienten am Kurort. Diese allgemeine Therapie zielt auf die natürliche Regelung der Grundfunktionen des Organismus und auf eine Entfaltung der biologischen Ordnungskräfte im Sinne einer Erholung des Kurpatienten ab. Zu dieser allgemeinen Therapie gehören die Entlastung von der Arbeit und der Arbeitswelt, die Harmonisierung des Tagesrhythmus, die gesunde Ernährung, die ausgleichende Bewegung beim vorwiegend sitzend Tätigen, die Ruhe bei dem durch die Hektik der Arbeitswelt und auch die Hektik des Privatlebens überforderten Patienten, die Muße als Voraussetzung für die Wiedergewinnung einer inneren Lebensordnung, die Ausschaltung schädlicher Klimafaktoren und schließlich die Meidung oder die Einschränkung des Genussmittelverbrauchs. Während also bei der speziellen Therapie mehr die körperliche Seite der Gesundheitsstörung im Vordergrund steht, will man mit der allgemeinen Therapie die Wiederherstellung des seelischen Wohlbefindens erreichen.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass sich das, was wir heute als moderne Kurortmedizin bezeichnen, von dem, was Prieger seinen Patienten an Therapie anbot, gar nicht so grundlegend unterscheidet.
Eines der Hauptanliegen des Arztes ist es, dem Patienten Bedeutung und Wert eines gesundheitsbewussten Verhaltens nahezubringen. Die in der Kurortmedizin gebotenen Möglichkeiten zur Gesundheitserziehung sollten daher angesichts der von Jahr zu Jahr zunehmenden Zivilisationsschäden voll ausgeschöpft werden. Gerade beim Kind und beim Jugendlichen aber sind die Bemühungen in dieser Richtung von allergrößter Bedeutung. Gesunderhaltung und Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen sind nicht nur Gebot ärztlicher Ethik, sie sind darüber hinaus Probleme von eminenter sozialpolitischer Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Generationenvertrags. In den Kreis der potentiellen Kurpatienten gehören als Folge der psychischen Umweltschäden in immer stärkerem Maße auch verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche, deren Behandlung am Kurort daher eine zukunftsträchtige Aufgabe darstellt. Die Kurorte müssen sich eben hier dem sich verändernden Spektrum der Gesundheitsstörungen anpassen, um auch in Zukunft ihrer Aufgabe als Stätten der Heilung voll gerecht zu werden.
Auch sollte unter keinen Umständen die Möglichkeit außer acht gelassen werden, dass in einem Kurort wie Bad Kreuznach Mutter und Kind gleichzeitig eine Kur machen können: die Mutter als ambulante Kurpatientin, das Kind als stationärer Kurpatient im Viktoriastift. Die räumliche Möglichkeit der gemeinsamen Unterbringung von Mutter und Kind während der Kur sollte dabei sicher kein unlösbares Problem sein.
Nehmen wir die große Bedeutung unseres Heilbades als international anerkanntes Rheumabad hinzu, so werden die Aufgaben von Bad Kreuznach meiner Meinung nach in Zukunft nicht abnehmen, sie werden im Gegenteil eher zunehmen.
Kehren wir von diesem Blick in die Zukunft noch einmal zurück an den Beginn der Geschichte unseres Bades. Die heilkräftigen Quellen im Verein mit dem günstigen Klima und den Naturschönheiten der näheren Umgebung waren es, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus dem unbekannten Landstädtchen Kreuznach eine Badestadt von Glanz und Gewicht machten. Dieses Bad wurde in kurzer Zeit berühmt nicht nur in Preußen oder im benachbarten Hessen und in der bayrischen Pfalz, sondern in Europa einschließlich des fernen Zarenreiches. Welch eine glanzvolle Gesellschaft passiert da Revue, wenn man die Gästelisten des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts durchblättert! Als Beispiel für viele seien genannt Fürst Metternich, Otto von Bismarck, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Königin Elisabeth, Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, Robert und Clara Schumann, Johannes Brahms, Max Bruch, Hans Pfitzner, Ludwig Uhland, Hoffmann von Fallersleben, Viktor von Scheffel, Ferdinand Freiligrath, Oscar Wilde und Stefan George. Diese Liste berühmter Namen ließe sich noch lange fortsetzen.
Wir wollen uns hier aber nicht einer trügerischen Nostalgie hingeben, und wir wollen keineswegs vergessen, vor welch' makabrem Hintergrund an heute kaum mehr vorstellbarer Armut und sozialer Ungerechtigkeit anderenorts sich das gesellschaftliche Schauspiel eines mondänen Badeortes von damals abspielte. Die Gründung des Viktoriastifts war der erfolgreiche Versuch, auch den vom Schicksal zu kurz gekommenen kranken Kindern unbemittelter Eltern die Möglichkeit zu geben, in Bad Kreuznach Heilung oder Besserung ihrer Leiden zu finden. Auf diese humanitäre Tat können wir noch heute als Bad Kreuznacher Bürger mit Stolz zurückblicken!
Das gesellschaftliche Panorama hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt; geblieben aber ist der heilungsuchende Mensch. Die körperlichen und vor allem aber auch die seelischen Erschöpfungszustände, die Entwicklungsstörungen und Fehlentwicklungen bei Jugendlichen als Folge der Überbeanspruchung durch Schule, Beruf und falsch ausgefüllte Freizeit werden neben den klassischen Indikationen für eine Kur mehr und mehr zum Anlass für die Durchführung einer Behandlung am Kurort werden. Und deshalb muss der Kurort in seinen Umweltfaktoren bereits einen deutlichen Kontrast zum Heimatort des Patienten darstellen. Hier muss die Luft möglichst rein erhalten werden, hier darf kein Lärm herrschen, hier soll die Möglichkeit zur Bewegung in einer noch nicht zerstörten Landschaft geboten werden. Wenn diese Bedingungen nicht mehr erfüllt werden können, hat die Kur entscheidend an Wert verloren, sie entartet zu einer nutzlosen Pseudotherapie. Mit dem Anspruch, Kurort zu sein, übernimmt ein Gemeinwesen zusätzliche Aufgaben, um die es in der heutigen Zeit nicht zu beneiden ist. Während auf der einen Seite Belange der Wirtschaft und des von Natur aus nicht sehr umweltfreundlichen Verkehrs zu berücksichtigen sind, erheischt auf der anderen Seite das Heilbad ein Höchstmaß an umweltbewusster Planung. Hier einen sicheren Mittelkurs zu steuern, ist zweifellos eine sehr schwierige Aufgabe. Aber der Titel ," Bad "verpflichtet! Er verpflichtet dazu, die Erwartungen des Kurgastes und seines einweisenden Arztes, die diese zu Recht an einen Badeort stellen, auch zu erfüllen. Wir sind davon überzeugt, dass es bei einiger Kompromissbereitschaft aller Beteiligten auch hier in Bad Kreuznach weiter möglich sein wird, Lösungen zu finden, die sowohl den Belangen des Heilbades als auch den Belangen der Wirtschaft und des Verkehrs gerecht werden. Wir sind aber ebenso davon überzeugt, dass das Viktoriastift auch in Zukunft im Kreis der kurbezogenen Kliniken und Sanatorien unseres Bades die ihm seit nunmehr hundert Jahren gebührende Bedeutung behalten wird.
Der Kreis schließt sich: Die ersten Kurpatienten von Erhard Prieger waren vor allem Kinder; im jetzt hundertjährigen Viktoriastift sind die Weichen gestellt, dass auch in Zukunft die Jugend im alten und immer wieder jungen Heilbad an der Nahe ihre Gesundheit des Körpers und der Seele wiedererlangt und bewahrt.
Literatur
Aschoff, K.: Bad Kreuznach, seine Quellen und seine Salinenwerke Karlshalle und Theodorshalle. In: Hundert Jahre Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1917. Dörfer, W.: Persönliche Aufzeichnungen.
Gamp, A.: Bad Kreuznach. In: Deutsche Heilbäder in Einzeldarstellungen. Stuttgart 1965. Gött, H.: 150 Jahre Kinderkuren in Bad Kreuznach. In: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1967.
Haase-Aschoff, P.; Apotheker Dr. Karl Aschoff. In: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1967.
Jökel, H.: Die Radon-Inhalation in Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1974. Küstermann, W.: Die Entwicklung des Heilbades Bad Kreuznach ab 1817. In: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1967.
Mathern, W.: Geheimrat Dr. Johann Erhard Peter Prieger. In: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1967.
Mathern, W.: Berühmte Gäste in Bad Kreuznach. In: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1967.
Prieger, J. E. P.: Kreuznach und seine Heilquellen. Mainz 1827. Deutscher Bäderverband e. V.: Grundsätze für eine zeitgemäße Behandlung in den Heilbädern und Kurorten. Bonn 1969.
Von Dipl.-Psych. Robert Simsa, Leiter der Stadt. Erziehungsberatungsstelle Bad Kreuznach.
In seinem Festschriftbeitrag hat Gött eindrucksvoll nachgewiesen, wie problemgerecht die heutige Kinderkurklinik Viktoriastift seit dem Gründungsjahr 1878 stets auf die zeitgemäßen Forderungen der Sozialmedizin eingegangen ist. Grundlage des dabei erzielten Erfolges war bis heute die vorurteilsfreie Auseinandersetzung der für die Leitung dieser Einrichtung Verantwortlichen mit neuen Tendenzen auf diesem Gebiet. Ein überzeugendes Beispiel für die Bereitschaft dieser Kinderkurklinik, scheinbar erkennbare Abgrenzungen ihres Angebots zu überschreiten, stellen nun die im Laufe der letzten Zeit erstmals durchgeführten Mutter- und Kind-Kuren dar. Die dabei gewonnenen guten Erfahrungen ermutigen zu einer Fortsetzung dieser Bemühungen. Sie werden nicht nur den als Erziehungsberater tätigen Psychologen zu Überlegungen veranlassen, welcher Wert ihnen beizumessen ist.
Die von Freud ausgehende Erkenntnis der schicksalsentscheidenden Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung hat mittlerweile eine außerordentliche Verbreitung erlebt und gehört förmlich zum Allgemeinwissen. Die praktischen Erfahrungen bei der ganz gleich unter welchem sozialen Aspekt durchgeführten Beratungsarbeit lehren, dass dieser Gedanke auch ohne Schwierigkeiten auch jenen zu vermitteln ist, denen er bis dahin noch nicht bewusst war. So erklärt sich einmal, warum gerade in allen populären Medien - vom Fernsehen über die großen Illustrierten und die Tagespresse hin bis in die vielfältigen Kundenzeitschriften dieses Thema immer wieder angesprochen wird. So lässt sich sicherlich auch erklären, wie rasch die von H. E. Richter*) ausgehenden Forderungen nach Familientherapie, also der Überwindung des individualistischen Denkens (nicht nur) der klassischen Psychoanalyse, über die Fachwelt hinaus eine breitere Öffentlichkeit erreicht haben und beschäftigen. Dies gilt auch für die seit 1970 von engagierten Eltern ausgehende Aktion "Kind im Krankenhaus", die die Einbeziehung der Mutter in die klinische Behandlung von Kindern zum Ziel hat. Zu verweisen ist hier ebenfalls auf die nach wie vor weite Kreise ziehende Diskussion der Heimsituation und die sich daraus ergebende verstärkte Suche nach Pflege- und Adoptiveltern für bindungslose Kinder.
Diese und andere in diesem Zusammenhang zu beachtende Bewegungen zeigen auf, wie sehr die Erschütterungen der Kriegs- und Nachkriegszeit zu der Erkenntnis beigetragen haben, welche Bedeutung der Beachtung der sozialen Bedürfnisse des Menschen zukommt. Es kann dabei nicht übersehen werden, dass die Einführung der daraus resultierenden Gedankengänge und Vorschläge in die Praxis immer wieder auf erhebliche Schwierigkeiten stößt.
Hier muss natürlich zunächst an die finanziellen Probleme gedacht werden, die sich bei der Verwirklichung insbesondere sozialer Vorhaben derzeit in teilweise *vgl. H. E. Richter (u. a.): Familie und seelische Krise. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1976 massiver Form ergeben. Es ist tragisch zu nennen, dass die Rezession ausgerechnet in dem Maße um sich griff, in dem es zu einer echten Verbreitung des Wissens um notwendige Reformen selbst bei vorher noch von konservativen Einstellungen bestimmten Institutionen gekommen war. Dass vor allem auch die jüngeren Fachkräfte, aber nicht nur sie, deshalb verbittert reagieren, wenn ihre wissenschaftlich begründeten Verbesserungsvorschläge an den dazu fehlenden Mitteln scheitern, liegt auf der Hand. Der in Not geratene Mensch empfindet ebenso. Gerade der Gedanke an ihn sollte die für die Verteilung der Mittel Verantwortlichen dazu veranlassen, dass der soziale Rechtsstaat sich gerade in Krisenzeiten bewähren muss, damit seine Verfassung nicht unglaubwürdig wird. Es ist aber noch eine andere Belastung zu berücksichtigen, der reformwillige Fachleute auf dem sozialen Feld ausgesetzt sind. Sie ergibt sich aus dem Anspruch der um die Verbesserung der therapeutischen Angebote bemühten Wissenschaften auf uneingeschränkte Übernahme ihrer Maximen. Zweifellos sind diese Vorschläge für die Praxis in der Regel nicht allein am Schreibtisch erarbeitet, sondern durch erfolgreiche Versuche in Modelleinrichtungen erprobt worden. Trotzdem gerät derjenige, der sie in seine Arbeit hineinnehmen will, immer wieder in einen Zustand von Befangenheit, oft auch Beklommenheit, wenn er sich vor Augen stellt, nicht ganz der reinen Lehre gemäß handeln zu können oder aber noch ihm nach wie vorfruchtbar erscheinende Maßnahmen zu verantworten, die pauschal in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Kritik geraten sind.
Diese nur scheinbar allzu allgemeinen Gedankengänge mussten notwendigerweise der Auseinandersetzung mit jenem schon erwähnten neuen Angebot der Kinderkurklinik in Form der Mutter- und Kind-Kuren vorausgehen um darzutun, dass es sich dabei keineswegs um ein taktisches Eingehen auf einen nun modernen Trend handelt. Das Viktoriastift hat vielmehr schon immer der Pflege der Eltern-Kind-Beziehung während und nach der Kur nach besten Kräften Rechnung zu tragen versucht. Dafür sprechen die vom Beobachter seiner Arbeit in diesem Zusammenhang zu beachtenden Bemühungen, grundsätzlich mit den Eltern in brieflichen Kontakt zu kommen. Hier geht es ja nicht nur um die Bereicherung der Anamnese, sondern um eine der Familie des zur Kur erscheinenden Kindes und Jugendlichen spürbaren persönlichen Kontakt über die oft große Entfernung zwischen ihrem Wohnort und Bad Kreuznach. Er konnte seit Jahren noch dadurch intensiviert werden, dass immer mehr Eltern (derzeit etwa 50%) die jungen Kurgäste bringen und abholen. Diese Überwindung des zweifellos allzu anonymen Sammeltransportsystems ermöglicht jene zur Abrundung und Vertiefung der Arbeit des Hauses so ungemein wichtigen Vor- und Abschlussgespräche.Der nachgehende Einsatz der Kinderkurklinik ist natürlich davon abhängig, inwieweit die an die überweisenden Ärzte und Entsendestellen gesandten Berichte zu den vorgeschlagenen Initiativen veranlassen.
Zu bedenken ist im übrigen fast noch mehr, ob die kurbedingte Herausnahme vor allem des jüngeren Kindes aus dem häuslichen Umfeld nicht zur Trennungsangst und ihren vor allem von der Kinderpsychotherapie aufgezeigten belasten den Folgeerscheinungen führt. Der Hinweis der Kliniker, das ihr Eingreifen veranlassende Problem doch aufgelöst zu haben, wird mit der Feststellung beantwortet,es sei lediglich eine Symptomverschiebung bewirkt worden. Diesem Vorwurf, somit zwar ein Übel durch ein womöglich viel tiefgreifenderes Leiden abgelöst zu haben, begegnet die Kinderkurklinik freimütig mit dem Bekenntnis zu ihrer begründeten Auffassung, dass bei ihren Indikationen eine zeitlich unterschiedlich zu begrenzende Herausnahme des zu Behandelnden aus seiner gewohnten Umgebung (hier ist auch an die Schule zu denken) Grundvoraussetzung für eine wirksame Einflussnahme ist. So ideal nämlich das Bild der intakten Familie zu zeichnen ist, so schwer wird es selbst dem unter besten Bedingungen arbeitenden Therapeuten werden, seine Vorstellungen davon seinen Patienten ambulant zu übertragen.
Zu berücksichtigen ist hier auch, dass - einmal abgesehen von die Kinderkurklinik beschäftigenden Erkrankungen, die eine stationäre Behandlung von sich aus unumgänglich machen - das Angebot unter dem Aspekt der Familientherapie im Sinne Richters bei weitem noch nicht ausreicht, den erkannten Bedarf zu decken. Dies mag eine Frage der Zeit sein, bis auch hier ideale Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden. Es muss aber offen ausgesprochen werden, dass es auch dann noch viele Familien in allen Schichten der Bevölkerung geben wird, die sich diesen speziellen Bemühungen nicht öffnen werden, ohne dass überörtliche Hilfen in Anspruch genommen worden sind. Darauf wird in der vorliegenden Veröffentlichung aus dem Bereich der Familientherapie hingewiesen.
Die Kinderkurklinik muss davon ausgehen, dass die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen nicht nur unter dem Leidensdruck der von ihnen eingebrachten Krankheiten und Behinderungen stehen, sondern in der Regel auch allein milieubedingte neurotische Störungen aufweisen. Die deshalb neben der fachärztlichen Behandlung und den daraus resultierenden speziellen Maßnahmen (wie z. B. Heilgymnastik) angewandte Verhaltenstherapie könnte jedenfalls aller Erfahrung nach nicht erfolgreich durchgeführt werden, wenn gegen sie wirkende ungünstige häusliche Einflüsse auf den Patienten mit im Räume wären. Ein Blick auf andere kinder- und jugendtherapeutische Einrichtungen im Bereich um Bad Kreuznach, etwa das Kinderneurologische Zentrum des Landes Rheinland-Pfalz in Mainz, das Landessprachheilheim in Meisenheim am Glan oder die neue Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landeskrankenhauses in Alzey, zeigt auf, dass auch dort aus wohlerwogenen Gründen stationäre Behandlungen mit häufig sehr viel längerer Verweildauer als im Viktoriastift durchgeführt werden, um die gesetzten Therapieziele erreichen zu können.
Somit ist zu überschauen, dass auch die Kinderkurklinik aus wohlerwogenen Gründen unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse der hier in Betracht zu ziehenden Forschung die Herausnahme ihrer Kurgäste aus deren häuslichem Umfeld verantworten kann, weil es bei diesen Kindern und Jugendlichen darum geht, dass deren Leiden und Störungen am Ort nicht beeinflusst werden konnten. Für die nötige Absicherung dieser Annahme sorgt nicht zuletzt der akute Kostendruck, der die Entsendestellen mehr denn je zur Prüfung der Frage veranlasst, ob vor der Kurmaßnahme alle Behandlungsmöglichkeiten am Ort ausgeschöpft worden sind. Diese Feststellung kann durch die eindrucksvollen Erfolge bewiesen werden, die die Kinderkurklinik z. B. bei einer ihrer wesentlichen Indikationen, dem Bettnässen, in der Regel im Verlaufe einer auch verhaltenstherapeutisch orientierten Sechswochenkur erzielt, nachdem die deshalb aufgenommenen Kinder und Jugendlichen auf vorhergehende, oft sehr langwierige ambulante Behandlungen negativ reagiert haben. Dieser positive Kureffekt steht dann am Anfang einer nun endlich einzuleitenden allgemeinen Persönlichkeitsstabilisierung, die auch die Leistungssituation überraschend verbessern kann. Vor allem aber stehen sich Kind und Eltern entlastet gegenüber. Wer dies aus der Praxis heraus kennt, weiß, dass dann von einer traumatischen Folgeerscheinung der Kur keine Rede sein kann, vorausgesetzt, dass eine fachgerechte Nachbehandlung erfolgt.
Dies führt nun im Grunde unmittelbar zu dem zu Anfang bereits als besonders begrüßenswert bezeichneten neuen Angebot der Kinderkurklinik, der Mutter- und Kind-Kur, zurück. Es ist dazu zunächst noch anzumerken, dass bei diesem Vorhaben auch an die Einbeziehung einer anderen Bezugsperson gedacht wird, die statt der Mutter direkt mit dem Kinde verbunden ist. Dies hat sich bei den Station XII - für männliche Jugendliche. Im Erdgeschoss befinden sich ein großer Festsaal und zwei Gymnastiksäle, im 2. Obergeschoss Personalwohnungen.
Von Dr. med. Hans Gött, Chefarzt der Kinderkurklinik Viktoriastift in Bad Kreuznach
Es soll in diesem Beitrag versucht werden, die Entwicklung des Viktoriastiftes im Zusammenhang mit einer sich ständig verändernden Sozialmedizin zu betrachten und zugleich auf die Aufgaben hinzuweisen, um deren Erfüllung sich die Klinik von Anfang an und unabhängig von Modeströmungen bemüht. Mit der Biographie der Anstalt verbindet sich zwangsläufig der Ausblick auf kommende Entwicklungen, deren Richtung nur vermutet werden kann. Denn die Geschichte des Viktoriastiftes lehrt:
- Die Krankheiten und Gegebenheiten, die seinerzeit die Gründung der Stiftung unter dem Motto" Es gilt die Heilung armer skrophulöser Kinder" veranlasst haben, sind heute behoben und beinahe vergessen.
- Nur der sich über mehrere Generationen erstreckenden umsichtigen Führung, die sich wachsam an den wechselnden sozialmedizinischen Brennpunkten und Engpässen orientierte, ist es zu verdanken, dass die von zwei Weltkriegen, von Inflation und Rezessionen hart betroffene Einrichtung immer wieder überleben und zeitgemäße Hilfe und Behandlung vermitteln konnte. Von den für die Gründer maßgeblichen äußeren Gesichtspunkten - Notstand und Bedarf, Aufgabenstellung, Standort, Einrichtung und Organisation - ist bis heute eigentlich nur der Standort weitgehend unverändert geblieben. Die anderen Voraussetzungen und Gesichtspunkte wandelten sich im Spiegel der psychologischen und pädagogischen Erkenntnisse, der therapeutischen Möglichkeiten und der politischen Gegebenheiten. Denn dass eine mehr der Vorbeugung und dem Langzeitkranken gewidmete Klinik sich häufig finanziellen Sorgen ausgeliefert sieht, die sich für die nicht von öffentlicher Hand subventionierten Einrichtungen besonders in Zeiten wirtschaftlicher Rezession bis zum existenziellen Kollaps steigern können, beweisen die Erfahrungen der vergangenen Jahre.